Seite - 130 - in Brasilien - Ein Land der Zukunft
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Stadt hineinschmiegt, wirkt an jeder Kurve der Blick abwechslungsreicher.
Man kann Rio wirklich nur mit einem gemalten Fächer vergleichen, wo jedes
Blatt seine besondere Zeichnung hat und doch erst der voll ausgebreitete
Fächer das ganze Bild ergibt.
Wer diese Strandboulevards im Auto durchfährt oder wenn er stundenlang
zu marschieren bereit ist – entlanggeht, durchwandert eigentlich sechs oder
sieben oder acht völlig verschiedene Städte. Da strahlen zuerst zur Linken der
Avenida Rio Branco all die Straßen aus, die zum Hafen und damit in die
Handelsstadt führen. Hier landen die großen Ozeandampfer, hier stoßen die
Ferryboote nach den Inseln ab, hier füllt sich der farbenfunkelnde Markt mit
Blüten und Früchten, hier wartet der Flugplatz mit seinen silbernen
Schwalben, hier scharen die Docks und die Arsenale und die Kasernen der
Marine sich zusammen; in neuer stolzer Gruppe erhebt sich der mächtige
Block der zusammengescharten Ministerien, zwölf-, vierzehn-,
sechzehnstöckige Bauten von neuzeitlichstem Charakter. Nach einem kühnen
Plan ist beinahe die ganze Verwaltung des riesigen Reiches hier wie zu einem
einzigen aufstrebenden Block vereinigt. Aber mögen auch Hafen und
Geschäftsstadt und Verwaltungsstadt um ein paar Nuancen farbiger getönt
sein als anderswo, die Physiognomie des Modernen wirkt hier noch
international. Noch hat man die eigentliche, die persönliche Stadtschönheit
Rios nicht gespürt, die weder im Nutzhaften noch im Historischen liegt,
sondern in der unvergleichlichen Kunst, wie sie alle Gegensätze harmonisch
zu lösen vermag.
Die kostbare, nachts mit tausend Lichtperlen leuchtende Kette der
Strandboulevards beginnt eigentlich erst, sobald man die Avenida verläßt; die
Praça Paris, von der sie ausgeht, ist gleichsam ihre kunstvolle Schließe. Der
Name Praça Paris ist nicht zufällig. Zweifellos haben die französischen
Stadtarchitekten, die den Plan entwarfen, an den Place de la Concorde
gedacht, wenn er abends mit den runden Bogenlichtern strahlte. Aber diese
Praça Paris hat noch den Blick auf die Bucht mit ihren gegenüberliegenden
Inseln und Bergen, Luxus des Städtischen verbindet sich dem
Verschwenderischen der Natur in einem unvergeßlichen Bild. Zwischen das
blaue Meer und die weißen Häuserreihen ist ein breiter Streifen Grün gestellt,
und der Himmel ruht offen über den Wipfeln dieses Parks, durch den blau,
rot, grün, gelb wie wildgewordene Tiere die Automobile und Autobusse
sausen, ohne aber wie in den meisten anderen Straßen durch ihr Jagen und
Heulen den Blick zu verwirren. Hier kann der Blick rasten und betrachten,
was ihm beliebt. Die belebte Linie der Palácios und Hotels, die freie Bucht
mit ihrem weißen Saum von Niterói und den Schiffen und Ferrybooten oder
auf den Hügeln über den Häusern die weiße, noble, alte Kirche Nossa
Senhora da Glória, die sich abhebt von den massigeren Hängen des wie eine
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Buch Brasilien - Ein Land der Zukunft"
Brasilien
Ein Land der Zukunft
- Titel
- Brasilien
- Untertitel
- Ein Land der Zukunft
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1941
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 200
- Kategorie
- Geographie, Land und Leute
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 5
- Geschichte 14
- Wirtschaft 57
- Blick auf die brasilianische Kultur 94
- Rio de Janeiro 117
- Einfahrt 121
- Das alte Rio 124
- Spazieren durch die Stadt 128
- Die kleinen Straßen 135
- Kunst der Kontraste 138
- Ein paar Dinge, die morgen vielleicht schon entschwunden sind 140
- Gärten, Berge und Inseln 144
- Sommer in Rio 148
- Blick auf São Paulo 152
- Besuch beim Kaffee 160
- Besuch hei den versunkenen Goldstädten 167
- Flug über den Norden 180
- Daten zur Geschichte Brasiliens 197