Seite - 133 - in Brasilien - Ein Land der Zukunft
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Gefühl, als gehöre dieser Strand nicht zur eigentlichen Stadt; er sei nur
ähnlich wie in Nizza, aber viel grandioser, einer arbeitenden, tätigen
Millionenstadt zugunsten der Fremden und Luxusmenschen künstlich
aufgesetzt worden und erst allmählich in das Leben, in den Organismus
eingewachsen. In der Tat, vor zwanzig Jahren waren es kaum ein paar
schüchterne Häuschen, die sich damals in die Sanddünen wagten. Aber seit
man die Liebe zur Luft, zur Sonne, zum Wasser und die neuen
Geschwindigkeiten des Automobils entdeckt, stellten ganze Quartiere sich mit
unheimlicher Geschwindigkeit auf. Heute fährt man nach Copacabana so
selbstverständlich wie in Wien in den Prater oder in Paris ins Bois, die
vordem auch noch ein Ausflug und beinahe eine Reise gewesen. Wenn nicht
das Herz, so ist Copacabana gewissermaßen die Lunge, durch die Rio atmet.
Aber bei all seiner Schönheit ist eines symbolisch: daß man an diesem
Strande sitzend oder stehend, Brasilien eigentlich im Rücken hat. Denn diese
eine Avenida blickt – freilich über einen ganzen Ozean – nach Europa
hinüber. Sie ist so neu-europäisch, wie die Avenida Rio Branco vor dreißig
Jahren europäisch war, und es ist typisch, daß die Fremden und die Reisenden
lieber an der Avenida Atlântica leben als dierichtigen cariocas, die sich hier
eher zu Gast als zu Hause fühlen.
Und wieder eine Kehre – hier muß der Fußgänger innehalten, es ist zu weit
für einen Tag – und man meint auf Zauberflügeln plötzlich in die Schweiz
getragen zu sein; da liegt, ein paar Dutzend Meter entfernt vom Strande, ein
See, die Lagoa Rodrigo de Freitas, rings von Bergen umschlossen. An seinem
flachen Rande hat sich mit unheimlicher Geschwindigkeit eine ganz neue
Villenstadt angeschmiegt, aber über ihm halten die Berge Wacht, und des
Nachts spiegeln sich ihre dunklen Konturen magisch in seinem schwarzen
Metall. Aber nicht rasten! Nur einen Blick auf diesen Bergsee inmitten einer
Metropole, auf den romantische Negerhütten unbekümmert niederblicken;
noch ein anderer langer Strand, der von Ipanema und noch ein zweiter, der
von Leblon, ist zu umfahren, wo noch die Häuser und die Palmen des
Boulevards jung sind. Dann erst nähert die Avenue sich der offenen Natur,
und es beginnt die Avenida Niemeyer, wie die Corniche der Riviera in und
durch den Fels gesprengt, hart an dem immer felsiger, immer abrupter
werdenden Strand sieht sie hinab auf das Meer, das hier unruhiger und
gefährlicher sich gebärdet. Aber zur Rechten beruhigen schützend die Hügel,
mit grünem Gestrüpp, mit Palmen und Bananen niedersteigend – es ist eine
Fahrt voller Abwechslungen, ehe man bei Joá einen Hügel erreicht, der Rast
und Überblick gewährt. Aufgetan die Bucht mit ihren Inseln und Felsen,
aufgerollt das Panorama der fernen Berge, verschwunden hinter dieser
farbigen Kulisse die Stadt – man ist im Freien, man ist am Ende! Aber wie
lange noch? Ein Jahr? Ein Jahrzehnt? Denn schon werden am nächsten
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Buch Brasilien - Ein Land der Zukunft"
Brasilien
Ein Land der Zukunft
- Titel
- Brasilien
- Untertitel
- Ein Land der Zukunft
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1941
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 200
- Kategorie
- Geographie, Land und Leute
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 5
- Geschichte 14
- Wirtschaft 57
- Blick auf die brasilianische Kultur 94
- Rio de Janeiro 117
- Einfahrt 121
- Das alte Rio 124
- Spazieren durch die Stadt 128
- Die kleinen Straßen 135
- Kunst der Kontraste 138
- Ein paar Dinge, die morgen vielleicht schon entschwunden sind 140
- Gärten, Berge und Inseln 144
- Sommer in Rio 148
- Blick auf São Paulo 152
- Besuch beim Kaffee 160
- Besuch hei den versunkenen Goldstädten 167
- Flug über den Norden 180
- Daten zur Geschichte Brasiliens 197