Seite - 145 - in Brasilien - Ein Land der Zukunft
Bild der Seite - 145 -
Text der Seite - 145 -
herum, zur Rechten, zur Linken dann die Vasallen, herberufen aus allen
Ländern und Zonen, aus Sumatra und Malakka, aus Afrika und vom Äquator,
ein Riesengeschlecht vielfältigster Art. Man weiß sie nicht anzusprechen, man
weiß ihre Namen nicht, man kennt die Früchte nicht, die sonderbar geformten
und gefärbten, die sie in ihrem Laubwerk tragen, aber man spürt, daß diese
Riesen uralter Herkunft sind, und man sinnt den exotischen Fernen nach, aus
denen sie gekommen, um ihre Früchte und Farben vereinigt hier darzubieten.
Und dann wieder, überschattet von bunten Sträuchern, im sumpfigen Teich
die mächtigen Blüten der Victoria Regia und auf den höheren waldigen Teilen
Bäume und Sträucher unserer Zonen, die man wie Freunde in der Fremde
erkennt – ein lebendiges Museum einerseits, ist dieser Garten doch
gleichzeitig ein vollkommenes Stück Natur. Denn nichts ist genialer in seiner
Anlage, als daß er einem der mächtigen Hügel angelehnt ist; dadurch wird die
Illusion erweckt, als ginge von hier, mitten aus einem Park und einer
Weltstadt, dieses wogende Grün weiter und weiter ins Land, das ganze Reich,
die ganze Welt entlang, und man sei erst am Anfang ungeheurer
Überraschungen. Nicht einen Augenblick fühlt man sich umgrenzt. Es ist, wie
wenn man von einem Vorgebirge jäh an das Meer tritt, eine unvergeßliche
Vision von der Unendlichkeit der Natur.
Aber ist der andere Park Rios, der Parque da Cidade, minder großartig? Er
ist nur anders. Er wollte einzig der Schönheit dienen und nicht wie der Jardim
Botânico auch der Wissenschaft. Als Garten eines der Patrizier Brasiliens, der
ihn der Stadt übermachte, war er geschaffen, um von einer Villa auf der Höhe
mit einem Blick alles zu umfassen, was Rios Landschaft an Vielfalt enthält,
das Meer und die Berge, die Täler und die Üppigkeit seiner Vegetation. Aber
es wurde nicht ein Blick, sondern ein Nichtendenkönnen an Blicken; da sanfte
Hänge, dort kunstvolle Blumen, die wetteifern mit den Farbenfanalen der
Araras, dieser schönsten aller Papageien, und dazwischen ein Teich und hier
wieder eine Terrasse; alle Künste der Gartenarchitektur sind hier wissend
enthalten. Und zu all dem muß man sich in Rio immer noch den Himmel
erdenken, diesen klaren, reinen Himmel, der wie eine stahlblaue Scheibe alles
Licht schärfer und zugleich diffuser verteilt, so daß jede einzelne Farbe mit
gleichsam explosiver Kraft sich entlädt und die feinste Kontur eines Baumes
sich genau abzeichnet. Und zu all diesen Herrlichkeiten endlich noch
diejenige, die Natur erst vollkommen macht: die große Stille. Denn so
weiträumig erstrecken sich diese Parks, daß man selten jemandem darin
begegnet; hier kann man mitten in einer Weltstadt mit dem Vollkommenen
selig allein sein. Hier schweigt der Lärm, und nur mit tausend warmen
unsichtbaren Lippen atmet die Erde die weiche, schwülige Luft.
Einen andern Tag hinauf in höhere Zonen. Kann man Berge sehen inmitten
einer Stadt ohne die Lust, sie zu besteigen, ohne das Verlangen, klar
145
zurück zum
Buch Brasilien - Ein Land der Zukunft"
Brasilien
Ein Land der Zukunft
- Titel
- Brasilien
- Untertitel
- Ein Land der Zukunft
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1941
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 200
- Kategorie
- Geographie, Land und Leute
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 5
- Geschichte 14
- Wirtschaft 57
- Blick auf die brasilianische Kultur 94
- Rio de Janeiro 117
- Einfahrt 121
- Das alte Rio 124
- Spazieren durch die Stadt 128
- Die kleinen Straßen 135
- Kunst der Kontraste 138
- Ein paar Dinge, die morgen vielleicht schon entschwunden sind 140
- Gärten, Berge und Inseln 144
- Sommer in Rio 148
- Blick auf São Paulo 152
- Besuch beim Kaffee 160
- Besuch hei den versunkenen Goldstädten 167
- Flug über den Norden 180
- Daten zur Geschichte Brasiliens 197