Seite - 170 - in Brasilien - Ein Land der Zukunft
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die Mühe bleibt vergeblich, und bald verläuft sich der nomadische Schwarm.
Die Neger werden in die Zuckerplantagen zurückgetrieben, einzelne der
Abenteurer machen sich in der »matta«, den tiefergelegenen, fruchtbaren
Tälern seßhaft; nach ein oder zwei Jahrzehnten sind die Goldstädte verlassen.
Die Lehmhütten, wo die Tausenden von Sklaven hausten, sinken spurlos in
die Erde zurück, Wind und Regen verschwemmen die Strohdächer, die sie
deckten, die Häuser der Stadt selbst verwahrlosen, und durch fast zwei
Jahrhunderte wird kein neues mehr gebaut: wie in den Zeiten des Anfangs ist
es wieder eine Mühe, zu diesen verschollenen, vergessenen Orten zu
gelangen.
Bis zur gegenwärtigen Hauptstadt von Minas Gerais, der erst knapp in
unserem Jahrhundert gegründeten Stadt, ist der Weg allerdings dank der
modernen Technik leicht; ein Flugzeug schwingt einen in anderthalb Stunden
von Rio de Janeiro zu dem Hochplateau von Minas Gerais hinüber, zu dem
vordem die ersten bandeirantes zwei Monate wandern mußten und die
Eisenbahn heute noch sechzehn Stunden benötigt. Diese neue Hauptstadt der
Provinz, Belo Horizonte, ist – in Brasilien sind die eigenartigsten Varianten
wie auf allen Gebieten auch auf dem des Städtebaus zu finden keine organisch
gewachsene, sondern eine geplante, eine aus Willen, Überlegung und auf
Jahrzehnte vorausblickender Berechnung geschaffene Stadt. Die
ursprüngliche, die traditionelle Hauptstadt von Minas Gerais, das alte Vila
Rica, das heute Ouro Preto heißt, zu modernisieren, hätte bedeutet, ein
einzigartiges historisches Dokument brasilianischer Geschichte zu verderben;
so entschloß sich die Regierung, lieber eine völlig neue Hauptstadt neben der
alten zu konstruieren und zwar an der landschaftlich schönsten, geographisch
wie klimatisch günstigsten Stelle. Ursprünglich sollte sie Cidade de Minas
heißen, aber man zog vor, um ihres weiten Fernblicks willen – hier sieht man
die schönsten Sonnenuntergänge Brasiliens – ihr den italienisch schönen
Namen Belo Horizonte zu schenken. Aber längst vor der Namensgebung,
längst ehe der erste Stein zur ersten Straße gelegt wurde, war diese Stadt in
einem weit vorausblickenden Stadtplan völlig vorausmodelliert. Weder ihre
Form noch ihre Entfaltung nichts sollte dem Zufall überlassen werden, jedem
künftigen Wohnviertel war seine Bestimmung, jedem Straßenzug seine
bestimmte Breite und Richtung von vornherein zugewiesen, und jedes
öffentliche Gebäude mußte sich gleichzeitig prominent und doch harmonisch
dem künftigen Stadtbild eingliedern; wie Washington ist Belo Horizonte das
glückliche und vorbildliche Resultat einer freien, von keiner Vergangenheit
gehemmten und nur der Zukunft entgegengewandten Planung. Mächtige
Diagonalen schneiden den Kreis, in dem sich – regelmäßige Distanzen und
Zwischenräume wahrend – die Stadt entfaltet hat und immer weiter entfalten
wird, in sinnvoller und wohldurchdachter Ordnung ab. Im Zentrum liegen die
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Buch Brasilien - Ein Land der Zukunft"
Brasilien
Ein Land der Zukunft
- Titel
- Brasilien
- Untertitel
- Ein Land der Zukunft
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1941
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 200
- Kategorie
- Geographie, Land und Leute
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 5
- Geschichte 14
- Wirtschaft 57
- Blick auf die brasilianische Kultur 94
- Rio de Janeiro 117
- Einfahrt 121
- Das alte Rio 124
- Spazieren durch die Stadt 128
- Die kleinen Straßen 135
- Kunst der Kontraste 138
- Ein paar Dinge, die morgen vielleicht schon entschwunden sind 140
- Gärten, Berge und Inseln 144
- Sommer in Rio 148
- Blick auf São Paulo 152
- Besuch beim Kaffee 160
- Besuch hei den versunkenen Goldstädten 167
- Flug über den Norden 180
- Daten zur Geschichte Brasiliens 197