Seite - 177 - in Brasilien - Ein Land der Zukunft
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geheimnisvollen und unzerstörbaren Wahns, der aber- und abermals die Welt
verwirrt.
Mit einem letzten Blick auf diese romantisch düsteren Hügel mit ihren wie
Engelsschwingen sie überschwebenden Kirchen hat man diese eigenartige
Welt verlassen, die der trügerische Glanz des Goldes vor Jahrhunderten wie
eine Fata Morgana in den leeren Raum gezaubert hat. Aber man will nicht aus
diesen Tälern des Goldes, ohne mit eigenen Augen wenigstens einen
Schimmer oder eine Spur des geheimnisvollen Elements gesehen zu haben,
das die Menschen hierhergetrieben, man will nicht aus der Goldwelt, ohne
Gold berührt, betastet zu haben. Die Gelegenheit scheint leicht gegeben. Denn
ab und zu im Vorüberfahren sieht man noch einen Mann mit beiden Füßen tief
im Rio das Velhas stehen und nach alter Weise den Sand im Siebe schütteln;
auch dies hat sich nicht geändert in zweihundert Jahren: noch immer
versuchen hier arme und keineswegs mehr romantische Goldgräber ihr Glück,
denn es ist jedem verstattet, nach alter Weise dem Schwemmgold
nachzuspüren. Gerne hätte ich einem dieser armen Glückssucher bei dieser
mühseligen Arbeit zugesehen; aber man warnte mich, nicht meine Zeit zu
vergeuden. Denn Stunden und Stunden, ja oft Tage und Tage schütteln diese
Ärmsten der Armen vergeblich das Sieb und schöpfen sinnlos den leeren
Sand. Und es bedeutet schon eine besondere Glücksstunde, wenn einer
endlich ein einziges gelbes winziges Körnchen in seinem Siebe findet. Davon
kann er wieder notdürftig ein paar Tage leben, um so Woche für Woche weiter
zu schütteln und zu suchen; es ist ein tragisches, ein verzweifeltes Bemühen
geworden, hier noch im angeschwemmten Sande nach Gold zu suchen.
Während die garimpeiros, die Diamantensucher ein guter Fund manchmal für
Jahre entschädigt, sind diese Franktireurs der Goldjagd schlimmer daran als
der ärmste Arbeiter. Goldgewinn ist längst nurmehr in organisierter und
kollektiver Weise möglich wie in den modernen Minen von Morro Velho und
Espirito Santo, die von englischen Ingenieuren geleitet und von
amerikanischen Maschinen bedient werden. Es ist ein ungemein
komplizierter, aber aufregend sehenswerter Betrieb, der einen vom Tageslicht
tief in die Unterwelt führt; das Gold von Minas hat sich, seit es sie in ihrer
Wildheitkennenlernte, vor den Menschen längst in die Felsen verkrochen. Es
will sich nicht mehr leicht greifen und fassen lassen, aber in den Hunderten
Jahren der Jagd ist der Mensch auch hundertfach geschickter und raffinierter
geworden als seine Ahnen. Er hat sich mit der Technik eine wirksame Waffe
erfunden, und in tiefen und immer tieferen Stollen arbeiten sich nun stählerne
Hände an das boshafte Metall heran; über zweitausend Meter sind die
Schächte schon hinuntergewühlt in den Berg, und nicht Minuten, sondern
Stunden dauert es, ehe man im Aufzug den untersten Stollen erreicht. Dort
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Buch Brasilien - Ein Land der Zukunft"
Brasilien
Ein Land der Zukunft
- Titel
- Brasilien
- Untertitel
- Ein Land der Zukunft
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1941
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 200
- Kategorie
- Geographie, Land und Leute
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 5
- Geschichte 14
- Wirtschaft 57
- Blick auf die brasilianische Kultur 94
- Rio de Janeiro 117
- Einfahrt 121
- Das alte Rio 124
- Spazieren durch die Stadt 128
- Die kleinen Straßen 135
- Kunst der Kontraste 138
- Ein paar Dinge, die morgen vielleicht schon entschwunden sind 140
- Gärten, Berge und Inseln 144
- Sommer in Rio 148
- Blick auf São Paulo 152
- Besuch beim Kaffee 160
- Besuch hei den versunkenen Goldstädten 167
- Flug über den Norden 180
- Daten zur Geschichte Brasiliens 197