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da dieser – vereinfacht ausgedrückt – die eingehenden Reize an das Gehirn wei-
terleitet. Insofern ist der blinde Fleck diejenige Stelle im Auge, die das Sehen durch
seine Vermittlungsleistung ermöglicht, ohne dass man dort selbst sehen könnte.
Entscheidend ist dabei, dass der Sehende dem blinden Fleck gegenüber selbst blind
ist, denn die Leerstelle im Gesichtsfeld wird durch das Gehirn automatisch ergänzt
(vgl. Goldstein 2002: 52).
Überträgt man das Modell auf Medien, dann erscheinen diese als Ermög-
lichungsbedingungen von Wahrnehmung, Kommunikation oder dem mensch-
lichen Weltzugang insgesamt, bleiben als solche aber unsichtbar. Im Unterschied
zum Transparenzmodell ist die am Modell des blinden Flecks gedachte mediale
Unsichtbarkeit keine graduelle. Medien sind in ihrem Gebrauch unsichtbar, ebenso
wie beim normalen Sehen der blinde Fleck nicht wahrgenommen wird. Der blinde
Fleck ist dennoch nicht prinzipiell unsichtbar, denn es besteht die Möglichkeit,
diesen sicht- bzw. erfahrbar zu machen. Zwei grundsätzliche Strategien sind hierbei
zu unterscheiden: Erstens kann man den blinden Fleck an sich selbst beobachten,
indem man in einer bestimmten experimentellen Anordnung das Nichtsehen am
blinden Fleck wahrnehmbar macht;37 zweitens kann mithilfe eines Ophthalmoskops
der blinde Fleck im Auge eines anderen sichtbar gemacht werden. Krämer folgt
medientheoretisch der zweiten Strategie, wenn sie behauptet, dass sich Medien nur
im intermedialen Vergleich beobachten lassen: »Intermedialität ist eine epistemische
Bedingung der Medienerkenntnis« (Krämer 2003a: 82). So wie ein Augenarzt durch
seine eigenen Augen schaut, um im Auge eines Anderen den blinden Fleck zu sehen,
ist es Medienwissenschaftlern metaphorisch gesprochen nur möglich, durch die
Augen eines Mediums andere Medien zu betrachten.38
37 | Um den blinden Fleck im eigenen Sichtfeld wahrzunehmen, benötigt man ein
Blatt Papier auf dem horizontal nebeneinander ein Kreis (links) und ein Kreuz (rechts)
in circa fünf Zentimeter Abstand aufgezeichnet sind. Schließt man das rechte Auge
und hält das Kreuz direkt vor das linke Auge, dann verschwindet der Kreis in einem
Abstand des Blatts von circa 15 bis 30 Zentimetern vor dem Auge (vgl. Goldstein
2002: 52).
38 | Auf der Annahme, dass Medien nur im intermedialen Vergleich untersucht
werden können, beruhen eine Reihe weiterer medientheoretischer Ansätze, wie z.B.
Niklas Luhmanns Medium/Form-Unterscheidung, auf die Krämer ihre Argu men tation
unter anderem stützt (vgl. Krämer 2003a: 82). Jürgen Fohrmann hat das Inter me di-
alitätsparadigma der Erforschung von Medien wie folgt begründet: »Ein Medium a
läßt sich bestimmen in Bezug auf ein Medium b, wobei man eine gemeinsame Be -
zugsgröße c benötigt. Der Vergleich findet ebenfalls in einem Medium (d) statt, das
intrikaterweise in der Regel mit einem der verglichenen Medien identisch ist. Und
der Vergleich vollzieht sich in einer Form (einem Text, einem Bild o.ä.) (e). […] Alles
mithin, was sich über ein Medium sagen läßt, ergibt sich erst aus einem Medienver-
gleich im Rahmen einer solchen fünfstelligen Relation und nicht aus einer Medien-
ontologie« (Fohrmann 2004: 7).
Digitale Datenbanken
Eine Medientheorie im Zeitalter von Big Data
- Titel
- Digitale Datenbanken
- Untertitel
- Eine Medientheorie im Zeitalter von Big Data
- Autor
- Marcus Burkhardt
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-SA 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3028-6
- Abmessungen
- 14.7 x 22.4 cm
- Seiten
- 392
- Kategorie
- Informatik
Inhaltsverzeichnis
- Medium: Zwischen Konstellationen und Konfigurationen 21
- Die Frage nach den Medien 22
- Wann sind Medien? 33
- Über Medien reden: Medienepistemologie 58
- Computer: Zwischen Oberfläche und Tiefe 73
- Phänomeno-Technische Konfigurationen 75
- Spielräume der computertechnischen Informationsvermittlung 95
- Datenbank: Zwischen digitalen Sammlungen und Sammlungstechnologien 117
- Was sind Datenbanken? 121
- Datenbanklogiken: Zur Datenbank als symbolischer Form 131
- Gegen die Datenbank als Prinzip: Mikrologiken der digitalen Datenhaltung 145
- Banken, Basen, Reservoirs: Information Storage and Retrieval 149
- Information: Zwischen begrifflicher Abstraktion und technischer Konkretion 150
- Kommunikation mit Informationssammlungen 167
- Daten und Information: Begriffsklärung 187
- Techno-Logik: Apparaturen, Architekturen, Verfahren 205
- Direct Access: Zur Festplatte als Herausforderung digitaler Datenbanken 206
- Datenbankmodelle: Architekturen für Datenunabhängigkeit 221
- Data + Access: Datenmodelle und Algorithmen 242