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von Bewusstsein und Kommunikation darstellt (vgl. Luhmann 1998: 117).6 Obwohl
Luhmann dies eher beiläufig erwähnt, darf die Sprengkraft dieser Aussage für die
Systemtheorie nicht unterschätzt werden, denn in seiner Konsequenz würde man
»den Begriff der Kommunikation selbst in noch nicht voraussehbarer Weise – also
praktisch die Grundlage der Theorie sozialer Systeme – ändern müssen« (Esposito
2001: 243).7 Zu einem ähnlichen Schluss kommt Baecker, wenn er feststellt, »daß
kein Phänomen die Gesellschaftstheorie Luhmanns auf eine härtere Probe stellt als
der Computer« (Baecker 2001: 600). Angesichts der antizipierten Überschreitung
der Systemtheorie durch den Computer sah sich Luhmann, wie Esposito anmerkt,
»keinesfalls dazu veranlaßt, die Gesellschaftstheorie neu zu schreiben« (Esposito
2001: 244). Vielmehr bemühte er sich in seinen knappen Bemerkungen zu den elek-
tronischen Medien darum, eine medientheoretische Perspektive auf den Computer
zu entwickeln, die diesen »innerhalb des Analyserahmens der Systemtheorie« (Ernst
2008a: 190) situiert.
Der Computer nimmt in der Gesellschaftstheorie Luhmanns demzufolge eine
doppelte Stellung ein. Auf der einen Seite bringen die digitalen Medien die Theorie-
architektur der Systemtheorie ins Wanken, weil durch diese eine Revision des für die
Systemtheorie grundlegenden Kommunikationsbegriffs notwendig scheint. Auf der
anderen Seite dient der Computer der Stabilisierung von Luhmanns Theorie, indem
er als »eine neue Ebene der Selbstirritation der Kommunikation« (Ernst 2008a: 190)
begriffen wird.8 Auf dieser zweiten Ebene eröffnen Luhmanns Ausführungen zur
6 | Bewusstsein und Kommunikation konstituieren nach Ansicht Luhmanns ope rativ
geschlossene Systeme, die aneinander gekoppelt werden müssen: »Es gibt keine
nicht sozial vermittelte Kommunikation von Bewußtsein zu Bewußtsein, und es gibt
keine Kommunikation zwischen Individuum und Gesellschaft. [...] Nur ein Bewußtsein
kann denken (aber eben nicht in ein anderes Bewußtsein hinüber denken), und nur
die Gesellschaft kann kommunizieren« (Luhmann 1998: 105). Die Verbindung
abgeschlossener Systeme nennt Luhmann im Anschluss an Maturana strukturelle
Kopplung, welche es ermöglicht, dass Systeme an ihre Umwelt angeschlossen
werden können: »Über strukturelle Kopplung kann ein System an hochkomplexe
Umweltbedingungen angeschlossen werden, ohne deren Komplexität erarbeiten
oder rekonstruieren zu müssen. Wie man an der physika lischen Schmalspurigkeit
von Augen und Ohren erkennen kann, erfassen strukturelle Kopplungen immer nur
einen extrem beschränkten Ausschnitt der Umwelt« (Luhmann 1998: 107).
7 | Kommunikation ist für Luhmann die Grundoperation von sozialen Systemen und
dient infolgedessen als Grundbegriff der systemtheoretischen Gesellschaftstheorie
(vgl. Luhmann 1999: 191ff.). Wenn der Begriff der Kommunikation unter den Bedin-
gungen digitaler Medientechnologien verändert werden muss, dann besteht die
Gefahr, dass die Gesellschaftstheorie Luhmanns ihr Fundament verliert.
8 | Diese doppelte Einstellung Luhmanns gegenüber dem Computer lässt sich
Ernst zufolge als die Differenz von Neuem und Neuartigem begreifen: »Die medi-
entheoretische Reflexion auf den Computer bewegt sich im Rahmen einer meta-
Digitale Datenbanken
Eine Medientheorie im Zeitalter von Big Data
- Titel
- Digitale Datenbanken
- Untertitel
- Eine Medientheorie im Zeitalter von Big Data
- Autor
- Marcus Burkhardt
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-SA 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3028-6
- Abmessungen
- 14.7 x 22.4 cm
- Seiten
- 392
- Kategorie
- Informatik
Inhaltsverzeichnis
- Medium: Zwischen Konstellationen und Konfigurationen 21
- Die Frage nach den Medien 22
- Wann sind Medien? 33
- Über Medien reden: Medienepistemologie 58
- Computer: Zwischen Oberfläche und Tiefe 73
- Phänomeno-Technische Konfigurationen 75
- Spielräume der computertechnischen Informationsvermittlung 95
- Datenbank: Zwischen digitalen Sammlungen und Sammlungstechnologien 117
- Was sind Datenbanken? 121
- Datenbanklogiken: Zur Datenbank als symbolischer Form 131
- Gegen die Datenbank als Prinzip: Mikrologiken der digitalen Datenhaltung 145
- Banken, Basen, Reservoirs: Information Storage and Retrieval 149
- Information: Zwischen begrifflicher Abstraktion und technischer Konkretion 150
- Kommunikation mit Informationssammlungen 167
- Daten und Information: Begriffsklärung 187
- Techno-Logik: Apparaturen, Architekturen, Verfahren 205
- Direct Access: Zur Festplatte als Herausforderung digitaler Datenbanken 206
- Datenbankmodelle: Architekturen für Datenunabhängigkeit 221
- Data + Access: Datenmodelle und Algorithmen 242