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Digitale
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Elemente zu gleicher Zeit auszusprechen« (Saussure 1931: 147). Dagegen bezeichnet
der Begriff des Paradigmas Zusammenhänge und Verbindungen zwischen Sprach-
zeichen, die sich nicht in der Aneinanderreihung der Zeichentokens manifestieren.
Diese paradigmatischen Beziehungen, die Saussure assoziativ nennt, sind rein
geistiger Natur – sie sind »im Gehirn« (Saussure 1931: 148). Es handelt sich um
latente thematische Verknüpfungen von Wörtern. Somit sind die Elemente auf der
syntagmatischen Ebene »in praesentia« miteinander verbunden, wohingegen die
Elemente auf der paradigmatischen Ebene nur »in absentia« miteinander verbunden
sind (vgl. Saussure 1931: 147f.).42
Manovich greift diese Unterscheidung auf und diskutiert hieran einen seines Er-
achtens entscheidenden Wandel in der Verkörperung medialer Konstellationen im
Computer. In nichtdigitalen Medien verhalte es sich so, wie Saussure dargelegt hat.
Die syntagmatische Dimension werde materiell als Lautfolge, Text etc. verkörpert,
d.h. als konkrete Aneinanderreihung von Buchstaben zu Wörtern, Wörtern zu
Sätzen, Sätzen zu Absätzen usf. Die paradigmatische Dimension hingegen sei
stets implizit geblieben, wie Manovich in Übereinstimmung mit Saussure heraus-
stellt: »the database of choices from which narrative is constructed (the paradigm)
is implicit; while the actual narrative (the syntagm) is explicit« (Manovich 2001:
231). Dies ändert sich unter den Bedingungen digitaler Medientechnologien. Die
paradigmatische Ebene wird materialisiert und die syntagmatische Ebene bleibt
latent.
In der Datenbank, verstanden als Tiefenstruktur, sind die einzelnen (Bau-)Ele-
mente digitaler Medienobjekte gespeichert. Die Aneinanderreihung dieser Elemente
zu einem Syntagma stellt demgegenüber einen optionalen Pfad durch die Datenbank
dar, der sich an der Oberfläche als ephemeres Resultat einer algorithmischen oder
nutzerseitigen Auswahl aktualisiert: »Database (the paradigm) is given material
existence, while narrative (the syntagm) is dematerialized. Paradigm is privileged,
syntagm downplayed« (Manovich 2001: 231). Als Beispiel nennt Manovich die
digitale Bildbearbeitung, welche es erlaubt, die verschiedenen Elemente eines Bildes
auf unterschiedlichen Bildebenen zu verteilen. Diese Ebenen können unabhängig
voneinander sichtbar gemacht und bearbeitet werden. Infolgedessen ist das Bild in
der Tiefe des Computers ein Potenzial für verschiedene Bilder, das an der Oberfläche
durch die Auswahl der anzuzeigenden Bildebenen aktualisiert werden kann. Das
an der Oberfläche erscheinende Bild (Syntagma) ist ein kontingentes und flüchtiges
Produkt der im Computer materiell verkörperten Bildebenen (Paradigma). Die
Datenbank erscheint hierbei als Potenzial für Formgebung. Aus der »database of
choices« (Manovich 2001: 231) können unterschiedliche digitale Medienprodukte
42 | Diese Formulierung Saussures greift Manovich auf, ohne dies explizit zu
markieren: »Elements in the syntagmatic dimension are related in praesentia, while
elements in the paradigmatic dimension are related in absentia« (Manovich 2001:
230).
Digitale Datenbanken
Eine Medientheorie im Zeitalter von Big Data
- Titel
- Digitale Datenbanken
- Untertitel
- Eine Medientheorie im Zeitalter von Big Data
- Autor
- Marcus Burkhardt
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-SA 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3028-6
- Abmessungen
- 14.7 x 22.4 cm
- Seiten
- 392
- Kategorie
- Informatik
Inhaltsverzeichnis
- Medium: Zwischen Konstellationen und Konfigurationen 21
- Die Frage nach den Medien 22
- Wann sind Medien? 33
- Über Medien reden: Medienepistemologie 58
- Computer: Zwischen Oberfläche und Tiefe 73
- Phänomeno-Technische Konfigurationen 75
- Spielräume der computertechnischen Informationsvermittlung 95
- Datenbank: Zwischen digitalen Sammlungen und Sammlungstechnologien 117
- Was sind Datenbanken? 121
- Datenbanklogiken: Zur Datenbank als symbolischer Form 131
- Gegen die Datenbank als Prinzip: Mikrologiken der digitalen Datenhaltung 145
- Banken, Basen, Reservoirs: Information Storage and Retrieval 149
- Information: Zwischen begrifflicher Abstraktion und technischer Konkretion 150
- Kommunikation mit Informationssammlungen 167
- Daten und Information: Begriffsklärung 187
- Techno-Logik: Apparaturen, Architekturen, Verfahren 205
- Direct Access: Zur Festplatte als Herausforderung digitaler Datenbanken 206
- Datenbankmodelle: Architekturen für Datenunabhängigkeit 221
- Data + Access: Datenmodelle und Algorithmen 242