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Datenbank 143
Herausforderung besteht infolgedessen für Manovich darin, neue Präsentations-
und Umgangsformen mit der in der Tiefe gespeicherten Datenbank zu erkunden.
Obwohl Manovich in seinen Ausführungen stets auf der Gegenüberstellung
von Datenbank und Erzählung beharrt, richtet sich sein Interesse vor allem auf die
Frage, ob die Datenbank neue Formen der Erzählung (im narratologischen Sinn)
ermöglichen wird: »How can our new abilities to store vast amounts of data, to auto-
matically classify, index, link, search, and instantly retrieve it, lead to new kinds of
narratives« (Manovich 2001: 237). Dieser Frage geht er theoretisch und praktisch am
Beispiel filmischer Erzählungen nach. Als Vorläufer und Wegbereiter des database
cinema beschreibt Manovich Dziga Vertovs Film Der Mann mit der Filmkamera
(1929) und die Filme von Peter Greenaway.47 Die Leistung beider Filmemacher
besteht seines Erachtens darin, dass sie in ihren Filmen das Verhältnis von Daten-
bank und Erzählung auf neue Weise ergründet haben. Jedoch auch wenn es Vertov
und Greenaway gelingt, in ihren Filmen die Datenbank auf einer phänomenalen
Ebene als Erzählmodus sicht- und erfahrbar zu machen, beruhen ihre Filme auf
der materiellen Ebene noch nicht auf einer Datenbank. Vielleicht deshalb hat
Manovich gemeinsam mit Andreas Kratky das medienkünstlerische Filmprojekt
Soft Cinema umgesetzt, welches als Versuch verstanden werden kann, die Möglich-
keiten der Datenbank als Tiefenstruktur für Erzählungen experimentell vor Augen
zu führen.48
Die Filme des Soft Cinema Projekts sind ephemere Produkte der in der Daten-
bank gespeicherten Film- und Musiksequenzen sowie Untertitel. Erzeugt werden
die Filme mittels einer Software, welche die visuellen, textuellen und auditiven Ele-
mente der Datenbank nach bestimmten Regeln selektiert und arrangiert, wobei die
einzelnen Filmsequenzen nicht nur in linearer Abfolge aneinandergereiht, sondern
auch parallel nebeneinander in Splitscreens angezeigt werden. Aus der Datenbank
von Soft Cinema entstehen automatisch Filme, die nicht auf dem Skript eines Dreh-
buchs basieren:
»Rather than beginning with a script and then creating media elements that visualize
it, I investigate a different paradigm: starting with a large database and then gen-
erating narratives from it. In Soft Cinema, the media elements are selected from a
47 | Als Beispiele nennt Manovich die Filme The Falls (1980), Der Kontrakt des
Zeichners (1982) und Prospero’s Bücher (1991), bei denen Greenaway nicht nur
Regie geführt, sondern auch das Drehbuch geschrieben hat.
48 | Verschiedene Filme des Soft Cinema-Projekts wurden 2002 im Auftrag des
Zentrums für Kunst und Medien in Karlsruhe sowie 2003 im Auftrag des BALTIC
Centre for Contemporary Art Museen in Gateshead realisiert und wurden in interak-
tiven Ausstellungen präsentiert. Bei MIT Press erschien 2005 eine DVD-Version von
Soft Cinema; siehe hierzu die Webseite des Projekts www.softcinema.net (zuletzt
aufgerufen am 12.10.2012).
Digitale Datenbanken
Eine Medientheorie im Zeitalter von Big Data
- Titel
- Digitale Datenbanken
- Untertitel
- Eine Medientheorie im Zeitalter von Big Data
- Autor
- Marcus Burkhardt
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-SA 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3028-6
- Abmessungen
- 14.7 x 22.4 cm
- Seiten
- 392
- Kategorie
- Informatik
Inhaltsverzeichnis
- Medium: Zwischen Konstellationen und Konfigurationen 21
- Die Frage nach den Medien 22
- Wann sind Medien? 33
- Über Medien reden: Medienepistemologie 58
- Computer: Zwischen Oberfläche und Tiefe 73
- Phänomeno-Technische Konfigurationen 75
- Spielräume der computertechnischen Informationsvermittlung 95
- Datenbank: Zwischen digitalen Sammlungen und Sammlungstechnologien 117
- Was sind Datenbanken? 121
- Datenbanklogiken: Zur Datenbank als symbolischer Form 131
- Gegen die Datenbank als Prinzip: Mikrologiken der digitalen Datenhaltung 145
- Banken, Basen, Reservoirs: Information Storage and Retrieval 149
- Information: Zwischen begrifflicher Abstraktion und technischer Konkretion 150
- Kommunikation mit Informationssammlungen 167
- Daten und Information: Begriffsklärung 187
- Techno-Logik: Apparaturen, Architekturen, Verfahren 205
- Direct Access: Zur Festplatte als Herausforderung digitaler Datenbanken 206
- Datenbankmodelle: Architekturen für Datenunabhängigkeit 221
- Data + Access: Datenmodelle und Algorithmen 242