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Banken, Basen, Reservoirs 169
Kommunikation nicht mehr als Austausch zwischen Personen entworfen wird,
sondern als ein mehr oder minder zielgerichteter Zugriff auf Informationen, die
zuvor gespeichert wurden. Das nachrichtentechnische Problem der möglichst un-
gestörten Übertragung von Signalen wird übersetzt in die bibliothekarische Heraus-
forderung, aus einer Menge vorhandener Dokumente diejenigen auszuwählen, die
das Informationsbedürfnis eines Nutzers befriedigen. Information wird zu einem
Potenzial, welches im Prozess des Information Retrieval aktualisiert werden muss.
Im suchenden Zugriff auf ein Reservoir vorhandener Dokumente kommuniziert der
Nutzer, indem er Informationen selektiert und durch diese überrascht wird. Aus
diesem Informationspotenzial speist sich das Imaginäre der Datenbank als einem
unerschöpflichen und umfassenden Informationsreservoir. Kevin Kelly hat dies
1984 in seinem Bericht zur Lage der Netzwerknation so formuliert:
»I’ve always wanted a World Brain. The kind that lives in science-fiction books,
where you can ask it any question from any terminal and it beeps out the answer.
[...] Now I’m getting my change. I’ve enrolled in a two-day training workshop in how
to search Dialog. What we are courting is a memory that cradles all government
documents, every telephone book in the country, several million magazines, the
major newspapers, the entire patent office, a backlog of scientific reports, and
encyclopedias (note plural).« (Kelly 1984: 40)
Bei Dialog handelt es sich um den ersten kommerziellen Datenbankservice, der
seit 1972 die Suche nach Forschungsliteratur in ausgewählten thematischen Daten-
banken erlaubte.32 Darin sieht Kelly die Vision eines World Brain erfüllt, die H.G.
Wells in den 1930er Jahren formuliert hat (vgl. Wells 1971 [1938]). Rückblickend hat
Roger K. Summit, der Entwickler von Dialog, seine Motivation zur Arbeit an dem
System wie folgt beschrieben: »A common statement around Lockheed at the time
was that it is usually easier, cheaper, and faster to redo scientific research than to
determine whether it has been done previously« (Summit 2002). Dies sollte sich mit
Dialog ändern: Das Finden des bereits Gewussten wurde leichter und effektiver als
das erneute Erfinden.33
Auch für Mooers ist diese Idee leitend. Er modelliert den suchenden Zugriff
auf eine Informationssammlung als Kommunikation, bei der sich die Rollen von
32 | Die Entwicklung von Dialog und anderen Online-Datenbankservices zwischen
1963 und 1976 haben Bourne und Hahn (2003) ausführlich aufgearbeitet.
33 | In den Fragmenten über den Ideenumlauf hat Josias Ludwig Gosch bereits im
ausgehenden 18. Jahrhundert darauf insistiert, dass es leichter sei, Wissen zu
erlernen, als es zu erfinden: »Fast unglaublich ist der Unterschied zwischen der
Mühe, welche bei der Erfindung der Wahrheiten angewendet werden muß, und
derjenigen, die bei der Erlernung derselben nöthig ist, wenn sie bereits von andern
erfunden sind« (Gosch 2006 [1789]: 118). Dies hat aber zur Voraussetzung, dass
bekannt ist, was bereits erfunden wurde und damit auch erlernt werden kann.
Digitale Datenbanken
Eine Medientheorie im Zeitalter von Big Data
- Titel
- Digitale Datenbanken
- Untertitel
- Eine Medientheorie im Zeitalter von Big Data
- Autor
- Marcus Burkhardt
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-SA 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3028-6
- Abmessungen
- 14.7 x 22.4 cm
- Seiten
- 392
- Kategorie
- Informatik
Inhaltsverzeichnis
- Medium: Zwischen Konstellationen und Konfigurationen 21
- Die Frage nach den Medien 22
- Wann sind Medien? 33
- Über Medien reden: Medienepistemologie 58
- Computer: Zwischen Oberfläche und Tiefe 73
- Phänomeno-Technische Konfigurationen 75
- Spielräume der computertechnischen Informationsvermittlung 95
- Datenbank: Zwischen digitalen Sammlungen und Sammlungstechnologien 117
- Was sind Datenbanken? 121
- Datenbanklogiken: Zur Datenbank als symbolischer Form 131
- Gegen die Datenbank als Prinzip: Mikrologiken der digitalen Datenhaltung 145
- Banken, Basen, Reservoirs: Information Storage and Retrieval 149
- Information: Zwischen begrifflicher Abstraktion und technischer Konkretion 150
- Kommunikation mit Informationssammlungen 167
- Daten und Information: Begriffsklärung 187
- Techno-Logik: Apparaturen, Architekturen, Verfahren 205
- Direct Access: Zur Festplatte als Herausforderung digitaler Datenbanken 206
- Datenbankmodelle: Architekturen für Datenunabhängigkeit 221
- Data + Access: Datenmodelle und Algorithmen 242