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Digitale
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Gemeinschaften angepasst werden können.50 Im Vergleich dazu sind die stan-
dardisierten Vokabulare und Klassifikationen, mit denen viele digitale Informa-
tionssysteme operieren, sehr unflexibel.51 Deshalb machen sich Bowker und Star
für den Entwurf und die Entwicklung von Boundary Infrastructures stark, welche
die »differing constitution of information objects within the diverse communities
of practice that share a given infrastructure« (Bowker/Star 2000: 314) berück-
sichtigen. Wie genau ein solches Informationssystem aussehen könnte und wie in
diesem die technischen Prozesse der Informationsverarbeitung an die diversen
menschlichen und sozialen Formen des Umgangs mit Informationen angeschlossen
werden sollen, lassen die Autoren offen. Wichtiger als ein fertiger Entwurf für
eine solche Infrastruktur ist jedoch, dass der Vision eines einheitlichen, univer-
sellen Informationssystems eine Alternative zur Seite gestellt wurde: die Idee
eines fragmentierten, zwischen den partikularen informationellen Praktiken ver-
schiedener Gemeinschaften vermittelnden Informationssystems. Die Kontingenz
des Entwurfs von Informationssystemen wird hierdurch deutlich und erlaubt es, die
Politiken digitaler Datenbanken zu hinterfragen sowie die in Datenbanken einge-
schriebenen Machtstrukturen kritisch zu analysieren.52 Hierbei ist nicht nur von
Interesse, welche Informationen auf welche Weise in einer Datenbank gespeichert
werden, sondern auch, an wen sich die Datenbank richtet, wie die Zuweisung von
Suchanfragen und Suchergebnissen stabilisiert wird und in welche informationellen
Praktiken sie eingebunden ist.
Selbst die in diesem Kapitel bisher thematisierte Suche nach dem Bekannten,
d.h. nach vorhandenen Informationen, stellt nur eine, wenn auch wichtige Form der
medialen Datenbankpraxis dar. Die Datenbank – verstanden als konkrete Samm-
lung von Informationen – dient hierbei als Reservoir, Fundus oder Ressource zur
Befriedigung künftiger Informationsbedürfnisse. Sie ist ein Informationspotenzial,
welches auf abgelegten Informationen basiert, die unsichtbar abgespeichert durch
Suchanfragen selektiert und auf der Benutzeroberfläche zugänglich gemacht werden
können.
In anderer Hinsicht erscheint die Datenbank als Ressource, die potenziell mehr
Informationen bereithält als in ihr abgespeichert wurden. Die Datenbank ist hierbei
50 | Star und Griesemer unterscheiden in ihrem Aufsatz aus dem Jahr 1989 vier
Typen von Boundary Objects: Sammlungen (repositories), Idealtypen (ideal types),
übereinstimmende Grenzen (coincident boudaries) und standardisierte Formulare
(standardized forms) (vgl. Star/Griesemer 1989: 410f.). Diese Taxonomie erhebt
jedoch keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
51 | Dies trifft gemeinhin auch auf algorithmische Verfahren der Auswertung von
Information zu. Algorithmen beschränken die Interpretationsmöglichkeiten auf
vordefinierte Regeln, wie in Bezug auf Nakes Unterscheidung von Oberfläche und
Unterfläche bereits festgestellt wurde, S. 96ff.
52 | Kritik wird hier zunächst im buchstäblichen Sinn von krinein als Aufgabe
begriffen, Unterschiede zu markieren.
Digitale Datenbanken
Eine Medientheorie im Zeitalter von Big Data
- Titel
- Digitale Datenbanken
- Untertitel
- Eine Medientheorie im Zeitalter von Big Data
- Autor
- Marcus Burkhardt
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-SA 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3028-6
- Abmessungen
- 14.7 x 22.4 cm
- Seiten
- 392
- Kategorie
- Informatik
Inhaltsverzeichnis
- Medium: Zwischen Konstellationen und Konfigurationen 21
- Die Frage nach den Medien 22
- Wann sind Medien? 33
- Über Medien reden: Medienepistemologie 58
- Computer: Zwischen Oberfläche und Tiefe 73
- Phänomeno-Technische Konfigurationen 75
- Spielräume der computertechnischen Informationsvermittlung 95
- Datenbank: Zwischen digitalen Sammlungen und Sammlungstechnologien 117
- Was sind Datenbanken? 121
- Datenbanklogiken: Zur Datenbank als symbolischer Form 131
- Gegen die Datenbank als Prinzip: Mikrologiken der digitalen Datenhaltung 145
- Banken, Basen, Reservoirs: Information Storage and Retrieval 149
- Information: Zwischen begrifflicher Abstraktion und technischer Konkretion 150
- Kommunikation mit Informationssammlungen 167
- Daten und Information: Begriffsklärung 187
- Techno-Logik: Apparaturen, Architekturen, Verfahren 205
- Direct Access: Zur Festplatte als Herausforderung digitaler Datenbanken 206
- Datenbankmodelle: Architekturen für Datenunabhängigkeit 221
- Data + Access: Datenmodelle und Algorithmen 242