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Digitale
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dunkeln symbolische Formen das »Sein nicht, sondern mach[en] es von einer neuen
Seite her sichtbar« (Cassirer 2009 [1930]: 44).
Sofern es sich bei symbolischen Formen im Sinne Cassirers um Weisen der
Sichtbarmachung bzw. Erschließung der Welt handelt, kann das konzeptuelle
Schema der ANSI/X3/SPARC-Datenbankarchitektur als Weise der symbolischen
Formung in, mit und durch Computer verstanden werden. Denn das konzeptuelle
Datenbankschema stellt keine nachträgliche Interpretation von Informationen dar,
sondern gibt eine Struktur vor, die bestimmt, wie Informationen in Datenbanken
versammelt werden können und wie auf sie zugegriffen werden kann. Kurzum, das
Schema bedingt, was DBMS verwalten und worüber sie informieren können. Es dient
als Vermittler zwischen der Speicherlogik des Computers und unterschiedlicher
Gebrauchslogiken von Information, indem es ermöglicht, die digitalen Daten im
Speicher (Binärketten) als bestimmte Information (beispielsweise als Name, Freund,
Autor, ISBN-Nummer, Nachricht, Blogeintrag, Artikel, Kommentar, Bewertung,
Schlagwort etc.) zu adressieren. Infolgedessen dürfen Datenbanken nicht als
passive Container verstanden werden, die als bloßer Speicher bereits existierender
Informationen dienen. Vielmehr bringen sie die Informationen, die in ihnen ver-
waltet werden, mit hervor. Einerseits geben Datenbankinformationen zwar Aus-
kunft über etwas außerhalb der Datenbank Liegendes (Repräsentation), anderseits
legt das konzeptuelle Informationsmodell der Datenbank fest, was überhaupt als
Information zählt, d.h. durch welche Informationen die Wirklichkeit beschrieben
wird (Konstruktion). Insofern macht das konzeptuelle Schema die Welt »von einer
neuen Seite her sichtbar« (Cassirer 2009 [1930]: 44). Dass es sich hierbei stets um
einen beschränkten Wirklichkeitsausschnitt handelt, dessen informationelle Be-
schreibung zumeist ökonomisch motiviert ist, wurde bereits erwähnt. Entscheidend
ist an dieser Stelle, dass die im konzeptuellen Schema formalisierte Weise der
Zuordnung nicht sekundär ist, sondern vorschreibt, was in einer Datenbank als
Information zählt und in dieser als Information über Realität versammelt werden
kann. Besonders offenkundig wird dies bei genuin digitalen Medienobjekten bzw.
Inhalten, wie z.B. den Nutzerprofilen in sozialen Netzwerken, deren Struktur be-
stimmt, wie sich Personen präsentieren, wie sie mit anderen Nutzern interagieren
und welche Beziehungen zwischen ihnen bestehen können. Weniger offensicht-
lich ist dies bei der Versammlung von Informationen über realweltliche Objekte,
die scheinbar eindeutig bestimmt sind, wie dies z.B. bei der Katalogisierung von
Büchern der Fall ist. Doch auch Bücher lassen sich nicht nur auf eine Weise be-
schreiben, woran zugleich deutlich wird, dass es sich hierbei um kein Spezifikum
digitaler Datenbanken handelt, sondern auf Informationsinfrastrukturen im All-
gemeinen zutrifft, die z.B. auch in Kategorisierungen oder Standards realisiert
werden.44
44 | In Sorting Things Out haben Geoffrey Bowker und Susan Leigh Star dies am Bei-
spiel von Standards und Klassifikationssystemen wie dem International Statistical
Digitale Datenbanken
Eine Medientheorie im Zeitalter von Big Data
- Titel
- Digitale Datenbanken
- Untertitel
- Eine Medientheorie im Zeitalter von Big Data
- Autor
- Marcus Burkhardt
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-SA 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3028-6
- Abmessungen
- 14.7 x 22.4 cm
- Seiten
- 392
- Kategorie
- Informatik
Inhaltsverzeichnis
- Medium: Zwischen Konstellationen und Konfigurationen 21
- Die Frage nach den Medien 22
- Wann sind Medien? 33
- Über Medien reden: Medienepistemologie 58
- Computer: Zwischen Oberfläche und Tiefe 73
- Phänomeno-Technische Konfigurationen 75
- Spielräume der computertechnischen Informationsvermittlung 95
- Datenbank: Zwischen digitalen Sammlungen und Sammlungstechnologien 117
- Was sind Datenbanken? 121
- Datenbanklogiken: Zur Datenbank als symbolischer Form 131
- Gegen die Datenbank als Prinzip: Mikrologiken der digitalen Datenhaltung 145
- Banken, Basen, Reservoirs: Information Storage and Retrieval 149
- Information: Zwischen begrifflicher Abstraktion und technischer Konkretion 150
- Kommunikation mit Informationssammlungen 167
- Daten und Information: Begriffsklärung 187
- Techno-Logik: Apparaturen, Architekturen, Verfahren 205
- Direct Access: Zur Festplatte als Herausforderung digitaler Datenbanken 206
- Datenbankmodelle: Architekturen für Datenunabhängigkeit 221
- Data + Access: Datenmodelle und Algorithmen 242