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Digitale
Datenbanken240
Kriterien für die Selbigkeit eines Buchs anlegen, da für sie gerade zur Debatte
steht, welche Bücher, Ausgaben oder Textvarianten als dieselben zählen sollen (vgl.
Martens 1991: 22f.)
An dem genannten Beispiel wird deutlich, dass die Informationsmodelle, auf
denen Datenbanken beruhen, kein Abbild der objektiven Realität sind. Sie fügen
dem, worüber sie informieren, etwas hinzu, indem sie festschreiben, was im
Rahmen der Datenbank als Entität (und damit als seiend) gilt und welche Attribute
diese Entität auszeichnen. Einer an den platonischen Idealismus anschließenden
Lesart von Datenbanken als defizitärem Abbild der Wirklichkeit setzt Floridi daher
eine ontologische Interpretation entgegen (vgl. Floridi 1999: 110). Ihr zufolge sind
Datenbanken kein sekundäres Abbild, sondern die Basis für Wirklichkeit: »[T]he
infosphere is the authentic reality that underlies the physical world« (Floridi 1999:
110). Jedoch ist auch diese Sichtweise problematisch, da der Verweischarakter von
Datenbankinformationen, d.h. der Weltbezug von Datenbanken, in der medialen
Praxis nicht aufgegeben wird. Wären Datenbanken bloße Konstruktionen, dann
müssten die versammelten Informationen nicht empirisch erfasst werden, sondern
könnten nach bestimmten Regeln berechnet werden. Doch Datenbanken sind
nie bloßes Kalkül, d.h. das Weltmodell, welches dem Datenbanksystem als kon-
zeptuelles Schema zugrunde gelegt wird, mag zwar konstruiert sein, aber die Daten,
die diesem Modell folgend in die Datenbank eingespeist werden, lassen sich nicht
berechnen; sie sind Informationen über Realität, deren Richtigkeit sich nicht ma-
thematisch belegen, sondern nur empirisch überprüfen lässt.48 Datenbanken kon-
struieren ein Modell der Wirklichkeit und liefern zugleich ein Bild der Wirklich-
keit. Diesen Doppelcharakter gilt es ernst zu nehmen, wie in Rekurs auf Cassirers
Philosophie der symbolischen Formen gezeigt werden konnte. Die Betrachtung des
konzeptuellen Schemas als einer Form der vorlogischen Strukturierung von Wirk-
lichkeit geht jedoch auch über Cassirers »Kritik der Kultur« (Cassirer 2001 [1923]:
11) hinaus. Denn die von ihm vorgeschlagene kritische Philosophie der Kultur
ist stark am Geist orientiert, als jener Energie oder Kraft »durch die das schlichte
Dasein der Erscheinung eine bestimmte ›Bedeutung‹, einen eigentümlichen ideellen
Gehalt empfängt« (Cassirer 2001 [1923]: 9). Im Kontext einer Analyse, die es sich
zur Aufgabe macht, den Eigensinn freizulegen, den je spezifische mediale Kon-
figurationen entfalten, gilt es die Kritik der Kultur hin zu einer Kritik der Kul-
dass mediale Konstellationen über artifizielle Selbigkeit verfügen, modifiziert wer-
den. Artifizielle Selbigkeit ist keine stabile, überzeitliche Eigenschaft medialer Kon-
stellationen, sondern wird in mediale Praxen mitkonstituiert.
48 | Gegen Floridis ontologische Interpretation von Datenbanken lässt sich die Argu-
mentation von Winkler ins Feld führen, der sich dafür stark macht, dass Formal-
sprachen anders als häufig behauptet nicht von »Weltbezug und Referenz« (Winkler
im Druck) entkoppelt sind. Die zunehmende Formalisierung abstrahiert nicht von
der Wirklichkeit, sondern gibt ihr eine rigide Form, die Voraussetzung für die auto-
matisierte Verarbeitung von Informationen über Realität ist.
Digitale Datenbanken
Eine Medientheorie im Zeitalter von Big Data
- Titel
- Digitale Datenbanken
- Untertitel
- Eine Medientheorie im Zeitalter von Big Data
- Autor
- Marcus Burkhardt
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-SA 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3028-6
- Abmessungen
- 14.7 x 22.4 cm
- Seiten
- 392
- Kategorie
- Informatik
Inhaltsverzeichnis
- Medium: Zwischen Konstellationen und Konfigurationen 21
- Die Frage nach den Medien 22
- Wann sind Medien? 33
- Über Medien reden: Medienepistemologie 58
- Computer: Zwischen Oberfläche und Tiefe 73
- Phänomeno-Technische Konfigurationen 75
- Spielräume der computertechnischen Informationsvermittlung 95
- Datenbank: Zwischen digitalen Sammlungen und Sammlungstechnologien 117
- Was sind Datenbanken? 121
- Datenbanklogiken: Zur Datenbank als symbolischer Form 131
- Gegen die Datenbank als Prinzip: Mikrologiken der digitalen Datenhaltung 145
- Banken, Basen, Reservoirs: Information Storage and Retrieval 149
- Information: Zwischen begrifflicher Abstraktion und technischer Konkretion 150
- Kommunikation mit Informationssammlungen 167
- Daten und Information: Begriffsklärung 187
- Techno-Logik: Apparaturen, Architekturen, Verfahren 205
- Direct Access: Zur Festplatte als Herausforderung digitaler Datenbanken 206
- Datenbankmodelle: Architekturen für Datenunabhängigkeit 221
- Data + Access: Datenmodelle und Algorithmen 242