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einen Missbrauch dar, der zwar konstatiert, aber wahrscheinlich nicht ausgeräumt
werden kann. Daher gelte es nicht, zu versuchen die Bedeutung der Identitäts-Links
definitorisch festzulegen, sondern umgekehrt auch als Effekt ihres Gebrauchs zu
verstehen oder, wie Halpin und Hayes abschließend fordern, »as functions of their
actual use« (Halpin/Hayes 2010).
Eine Perspektive für einen möglichen Lösungsansatz kann die medienphi-
losophische Reformulierung des Problems von Linked Open Data eröffnen. Die
einzelnen Datenbestände im Web of Data enthalten in erster Linie keine Fakten,
sondern Aussagen im Sinne Foucaults. Indem man jedoch versucht, diese als reine
Fakten zu behandeln und sie so von ihrem Entstehungs- und Publikationskontext
abzulösen, verlieren die Datenbestände ihren Aussagestatus. Eine Zeichenfolge
konstituiert nach Ansicht Foucaults erst dann eine Aussage, wenn »sie zu ›etwas
anderem‹ [...] eine spezifische Beziehung hat« (Foucault 1981: 129). Die Spezifik
dieser Beziehung zu »etwas anderem« geht im Web of Data verloren, auch wenn die
Semantik von Linked Data in RDF-Tripeln expliziert wird. Die Aussagefunktion
fällt mit dem Gehalt einer Äußerung nicht in eins, sondern geht dieser voraus:
»Sie [die Aussage, M.B] ist vielmehr mit einem ›Referential‹ verbunden, das nicht
aus ›Dingen‹, ›Fakten‹, ›Realitäten‹ oder ›Wesen‹ konstituiert wird, sondern von
Mög lichkeitsgesetzen, von Existenzregeln für die Gegenstände, die darin genannt,
bezeich net oder beschrieben werden, für die Relationen, die darin bekräftigt oder
verneint werden. Das Referential der Aussage bildet den Ort, die Bedingung, das
Feld des Auftauchens, die Differenzierungsinstanz der Individuen oder der Gegen-
stände, der Zustände der Dinge und der Relationen, die durch die Aussage selbst
ins Spiel gebracht werden; es definiert die Möglichkeiten des Auftauchens und der
Abgrenzung dessen, was dem Satz seinen Sinn, der Proposition ihren Wahrheits-
wert gibt.« (Foucault 1981: 133)
Bezogen auf den Linked Data-Kontext bedeutet dies, dass es keine reinen
Informationen ĂĽber Fakten oder sogar reine Fakten gibt, die im Web of Data
zugänglich gemacht und miteinander vernetzt werden könnten. Es handelt sich stets
um Aussagen, in deren Rahmen Zeichenketten (mediale Konstellationen) als fak-
tische Informationen ĂĽber etwas interpretiert werden.
Aussagen verweisen, wie Deleuze das foucaultsche Konzept rekonstruierend
herausgearbeitet hat, auf drei Räume – einen kollateralen, einen korrelativen
und einen komplementären Raum – die sie aufspannen und in denen sie sich
gleichermaĂźen situieren (vgl. Deleuze 1992b: 14ff.). Den kollateralen Raum bilden
die anderen Aussagen, die eine Aussage umgeben, ihr Vorausgehen und Nach-
folgen. Als korrelativen Raum bezeichnet Deleuze »die Beziehung der Aussage [...]
zu ihren Subjekten, ihren Objekten und ihren Begriffen« (Deleuze 1992b: 16). Der
komplementäre Raum ist das nicht-diskursive Außen der Aussage, dass das tech-
nisch-materielle, institutionelle und ökonomische Milieu bildet, in dem die Aus-
sage artikuliert wird. Durch die Unterscheidung des kollateralen, korrelativen und
Digitale Datenbanken
Eine Medientheorie im Zeitalter von Big Data
- Titel
- Digitale Datenbanken
- Untertitel
- Eine Medientheorie im Zeitalter von Big Data
- Autor
- Marcus Burkhardt
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-SA 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3028-6
- Abmessungen
- 14.7 x 22.4 cm
- Seiten
- 392
- Kategorie
- Informatik
Inhaltsverzeichnis
- Medium: Zwischen Konstellationen und Konfigurationen 21
- Die Frage nach den Medien 22
- Wann sind Medien? 33
- Ăśber Medien reden: Medienepistemologie 58
- Computer: Zwischen Oberfläche und Tiefe 73
- Phänomeno-Technische Konfigurationen 75
- Spielräume der computertechnischen Informationsvermittlung 95
- Datenbank: Zwischen digitalen Sammlungen und Sammlungstechnologien 117
- Was sind Datenbanken? 121
- Datenbanklogiken: Zur Datenbank als symbolischer Form 131
- Gegen die Datenbank als Prinzip: Mikrologiken der digitalen Datenhaltung 145
- Banken, Basen, Reservoirs: Information Storage and Retrieval 149
- Information: Zwischen begrifflicher Abstraktion und technischer Konkretion 150
- Kommunikation mit Informationssammlungen 167
- Daten und Information: Begriffsklärung 187
- Techno-Logik: Apparaturen, Architekturen, Verfahren 205
- Direct Access: Zur Festplatte als Herausforderung digitaler Datenbanken 206
- Datenbankmodelle: Architekturen für Datenunabhängigkeit 221
- Data + Access: Datenmodelle und Algorithmen 242