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Phänomeno-Logik 321
strukturen basiert. Von dieser Denkform ist die Beschäftigung mit Weltliteratur zu
unterscheiden, die sich an der Denkfigur der Welle orientiert: »The tree describes
the passage from unity to diversity: one tree with many branches [...]. The wave is
the opposite: it observes uniformity engulfing an initial diversity« (Moretti 2000:
67).74 Das Beispiel Morettis kann zu der Feststellung verallgemeinert werden, dass
Diagramme, indem sie etwas zum Vorschein bringen, zugleich etwas verdecken. Sie
verbergen die Kontingenz der ihnen immanenten Weltsicht. Oder anders formu-
liert: Diagramme machen stets nur bestimmte Zusammenhänge ersichtlich, aber
gerade dies können sie nicht zeigen. Sie können in den Worten Dieter Merschs »die
Modalitäten ihres Zeigens nicht mitzeigen – sie verweigern die Sichtbarmachung
ihrer Sichtbarmachung« (Mersch 2007: 64).
Diesem Problem wird im Kontext der computergestützten Informations-
visualisierung indirekt begegnet, insofern die Visualisierungspraxis nicht allein
auf die Erstellung partikularer Diagramme abzielt, sondern auch auf die Entwick-
lung von generischen Visualisierungsanwendungen, welche es ihren Nutzern er-
möglichen sollen, Informationen selbstständig in Diagrammen zu veranschaulichen
und sie hierdurch zu erkunden. Information Visualization weist demzufolge über
die in einer diagrammatischen Darstellung liegenden Möglichkeiten hinaus in
Richtung des gesamten Prozesses der abduktiven Erstellung von Visualisierungen,
der deduktiven Ableitung von Folgerungen an Visualisierungen und der induktiven
Überprüfung dieser Schlüsse. Die Visualisierungssoftware wird als Schnittstelle zur
Erkundung von Informationsbeständen begriffen, deren Möglichkeiten über die
statischer Diagramme hinausgeht, da sie, wie Shneiderman anführt, die interaktive
Einnahme unterschiedlicher Sichtweisen und Perspektiven auf Informationssamm-
lungen ermöglicht:
»[A] great benefit of computing environments is the opportunity for users to rapidly
revise the presentation to suit their tasks. Users can quickly change the rules gover-
ning proximity, linking, color, size, shape, texture, rotation, marking, blinking, color
shifts and movements. In addition, zooming in or clicking on specific items to get
greater detail increases the possibilities for designers and users [...]. A picture is
often said to be worth a thousand words. Similarly, an interface is worth a thousand
pictures.« (Shneiderman 2003: 373)
74 | Hintergrund der Gegenüberstellung von Bäumen und Wellen als zwei unter-
schiedlichen Denkformen bzw. -figuren ist Morettis eigenes Bestreben, Literatur
nicht mehr nur auf der Ebene von Nationalliteraturen, sondern auf einem globalen
Niveau zu analysieren. Er ist jedoch weit davon entfernt, das eine gegen das andere
zu stellen: »Cultural history is made of trees and waves [...]. And as world culture
oscillates between the two mechanisms, its products are inevitably composite
ones« (Moretti 2000: 67).
Digitale Datenbanken
Eine Medientheorie im Zeitalter von Big Data
- Titel
- Digitale Datenbanken
- Untertitel
- Eine Medientheorie im Zeitalter von Big Data
- Autor
- Marcus Burkhardt
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-SA 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3028-6
- Abmessungen
- 14.7 x 22.4 cm
- Seiten
- 392
- Kategorie
- Informatik
Inhaltsverzeichnis
- Medium: Zwischen Konstellationen und Konfigurationen 21
- Die Frage nach den Medien 22
- Wann sind Medien? 33
- Über Medien reden: Medienepistemologie 58
- Computer: Zwischen Oberfläche und Tiefe 73
- Phänomeno-Technische Konfigurationen 75
- Spielräume der computertechnischen Informationsvermittlung 95
- Datenbank: Zwischen digitalen Sammlungen und Sammlungstechnologien 117
- Was sind Datenbanken? 121
- Datenbanklogiken: Zur Datenbank als symbolischer Form 131
- Gegen die Datenbank als Prinzip: Mikrologiken der digitalen Datenhaltung 145
- Banken, Basen, Reservoirs: Information Storage and Retrieval 149
- Information: Zwischen begrifflicher Abstraktion und technischer Konkretion 150
- Kommunikation mit Informationssammlungen 167
- Daten und Information: Begriffsklärung 187
- Techno-Logik: Apparaturen, Architekturen, Verfahren 205
- Direct Access: Zur Festplatte als Herausforderung digitaler Datenbanken 206
- Datenbankmodelle: Architekturen für Datenunabhängigkeit 221
- Data + Access: Datenmodelle und Algorithmen 242