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Digitale
Datenbanken334
die Welt lässt sich fortan als Datenbank begreifen, deren Informationspotenziale
bloß gehoben werden müssen.8 Sofern die ganze Welt von Datenbanken eingeholt
zu werden scheint, gibt es kein Außen der Datenbank mehr und man kann dem
Eindruck erliegen, »in der Wirklichkeit des Unverdrängten« (Porombka 1998: 318)
angekommen zu sein.
Verstärkt wird dieser medienkulturwissenschaftlich zu problematisierende Ein-
druck durch die Verweislogik von Datenbankschnittstellen. Durch diese werden
Informationen als Inhalte einer Datenbank verkörpert, denn indem Datenbank-
inhalte am Interface auf eine bestimmte Weise zur Erscheinung kommen, wird
die Datenbank als eine dahinter oder darunter liegende Informationsressource
erfahrbar. Die Datenbank bildet das Zentrum, in dem Informationen als Inhalte
(der Datenbank) Bestand haben und materiell präsent sind. Infolgedessen erscheint
der Content der Datenbank, wie Alan Liu in beiläufiger Anlehnung an Derrida
festgestellt hat, als »semiotically transcendental« (Liu 2008: 217).9 Dies ist insofern
bemerkenswert, als Derrida in seinem Essay Die Struktur, das Zeichen und das Spiel
im Diskurs der Wissenschaften vom Menschen einen Bruch im Denken der »Struk-
turalität der Struktur« (Derrida 1997b: 114) diagnostiziert, der seines Erachtens
einen »Verzicht jeglicher Bezugnahme auf ein Zentrum, auf ein Subjekt, auf eine
privilegierte Referenz, auf einen Ursprung oder auf eine absolute arche« (Derrida
1997b: 127) zur Folge hat. Mit dem Verlust des Zentrums geht für Derrida die
»Abwesenheit eines transzendentalen Signifikats« (Derrida 1997b: 117) einher, wes-
halb sich das Spiel der Signifikanten ins Unendliche hinein erweitert. Sofern die
Datenbank jedoch als neues Zentrum des Diskurses fungiert, wird das unbedingte
Spiel der Signifikanten unterbrochen. Die Unendlichkeit des Sagbaren wird von
der Endlichkeit des Gesagten und in Datenbanken Gespeicherten verdrängt und
das »Spiel des Bezeichnens« (Derrida 1997b: 117) wird vom Spiel des Darstellens,
Selektierens, Ordnens und Auswertens ersetzt. Jedoch weist auch dieses Spiel ver-
meintlich ins Unendliche, da Datenbanken als ein »mehrdeutiges Möglichkeitsfeld«
(Gugerli 2007a: 30) erfahrbar werden, für das der »Übergang von der gezielten Suche
nach Einträgen hin zur Recherche als einer ergebnisoffenen Abfrage« (Gugerli 2009:
72) charakteristisch ist.
Vor diesem Hintergrund interpretiert Gugerli Datenbanken nicht nur als kon-
krete Technologien, sondern auch als ein Denkmodell, welches für die Möglich-
8 | Diese Diagnose des Weltwerdens der Datenbank findet sich beispielsweise im
Untertitel der 2009 von David Gugerli veröffentlichten Monographie Suchmaschinen:
Die Welt als Datenbank. Während Gugerli eine tendenziell affirmative sozial- und
technikgeschichtliche Perspektive einnimmt, wird im Folgenden kritisch nach den
philosophischen Implikationen gefragt, die die Totalisierung von Datenbanken nach
sich zieht.
9 | Liu formuliert diese Beobachtung im Kontext seiner Analyse der Ideologie des
Aufschreibesystems 2000, das seines Erachtens auf dem Ideal der Trennung von
Inhalt und Form beruht. Siehe hierzu S. 287ff.
Digitale Datenbanken
Eine Medientheorie im Zeitalter von Big Data
- Titel
- Digitale Datenbanken
- Untertitel
- Eine Medientheorie im Zeitalter von Big Data
- Autor
- Marcus Burkhardt
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-SA 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3028-6
- Abmessungen
- 14.7 x 22.4 cm
- Seiten
- 392
- Kategorie
- Informatik
Inhaltsverzeichnis
- Medium: Zwischen Konstellationen und Konfigurationen 21
- Die Frage nach den Medien 22
- Wann sind Medien? 33
- Über Medien reden: Medienepistemologie 58
- Computer: Zwischen Oberfläche und Tiefe 73
- Phänomeno-Technische Konfigurationen 75
- Spielräume der computertechnischen Informationsvermittlung 95
- Datenbank: Zwischen digitalen Sammlungen und Sammlungstechnologien 117
- Was sind Datenbanken? 121
- Datenbanklogiken: Zur Datenbank als symbolischer Form 131
- Gegen die Datenbank als Prinzip: Mikrologiken der digitalen Datenhaltung 145
- Banken, Basen, Reservoirs: Information Storage and Retrieval 149
- Information: Zwischen begrifflicher Abstraktion und technischer Konkretion 150
- Kommunikation mit Informationssammlungen 167
- Daten und Information: Begriffsklärung 187
- Techno-Logik: Apparaturen, Architekturen, Verfahren 205
- Direct Access: Zur Festplatte als Herausforderung digitaler Datenbanken 206
- Datenbankmodelle: Architekturen für Datenunabhängigkeit 221
- Data + Access: Datenmodelle und Algorithmen 242