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343Schluss
Bevölkerung als Bevölkerung beschreibbar (vgl. Foucault 2006: 396). In der von
Foucault konstatierten Etablierung einer neuen Regierungskunst auf der Grund-
lage dieses Wissens zeigt sich die bereits relativ lang andauernde Relevanz des
Quantitativen im Bereich staatlicher Machtausübung.
Dass quantitativen Wissensformen ein zentraler Stellenwert zukommt, ist
keineswegs neu, wie im Rekurs auf Husserl einerseits und Foucault andererseits
skizzenhaft gezeigt wurde.26 Dennoch scheint die Privilegierung des Quantitativen
im Kontext der digitalen Medienkultur eine neue Qualität anzunehmen. So
konstatiert Bruno Latour 2007 in einem kurzen Text beispielsweise, dass die
Sozialwissenschaften durch die Verfügbarkeit von unüberschaubaren Mengen an
(nutzergenerierten) Informationen und die massenhafte Erfassung von Nutzungs-
daten in und durch digitale Medien(technologien) ihre Erkenntnisse endlich auf
eine ähnlich große empirische Basis stellen können wie die Naturwissenschaften:
»[S]ocial sciences [...] can finally have access to masses of data that are of the same
order of magnitude as that of their older sisters, the natural sciences« (Latour
2007). Auch wenn nach Ansicht von Latour die Natur der Naturwissenschaften
und das Soziale der Sozialwissenschaften problematische Kategorien sind, verfüge
die Soziologie in der digitalen Medienkultur endlich über die »empirical means of
its scientific ambition« (Latour 2007).27 Die zunehmende traceability von Nutzern
und ihren Handlungen in digitalen Medien ermögliche sogar die Erforschung der
Tiefenstrukturen der menschlichen Psyche und unserer Imaginationen:
»The precise forces that mould our subjectivities and the precise characters that
furnish our imaginations are all open to inquiries by the social sciences. It is as if
the inner workings of private worlds have been pried open because their inputs and
outputs have become thoroughly traceable.« (Latour 2007)
Obwohl Latour an dieser Stelle nicht explizit von einer quantitativen Erfassung und
Analyse des Sozialen und Psychischen spricht, legt er dies mit dem Hinweis nahe,
dass es für die Sozialwissenschaften nun möglich werde, ihre wissenschaftlichen
Ambitionen umzusetzen. Dass die mit digitalen Medientechnologien verzeichneten
Informationen die Möglichkeit einer quantitativen Vermessung der sozialen Welt
eröffnen, stellt Latour jedoch einige Jahre später in einem Beitrag zu Gabriel Tardes
Idee der Quantifizierung deutlich heraus (vgl. Latour 2010: 158f.).
Bemerkenswert ist die Position Latours nicht nur, weil er diese Entwicklung
prinzipiell begrüßt, sondern auch, weil er die Potenziale digitaler Datenspuren zu
überschätzen scheint. So ist fraglich, ob mit der Verzeichnung von Nutzer- und
26 | Eine umfassendere historische Kontextualisierung der Privilegierung quan-
titativer Wissensformen wäre notwendig, kann an dieser Stelle jedoch nicht geleistet
werden.
27 | Latour lehnt sich an Gabriel Tardes Modell der Soziologie und der Idee der
Quantifizierung an, welche er in Tarde’s idea of quantification rekonstruiert (2010).
Digitale Datenbanken
Eine Medientheorie im Zeitalter von Big Data
- Titel
- Digitale Datenbanken
- Untertitel
- Eine Medientheorie im Zeitalter von Big Data
- Autor
- Marcus Burkhardt
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-SA 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3028-6
- Abmessungen
- 14.7 x 22.4 cm
- Seiten
- 392
- Kategorie
- Informatik
Inhaltsverzeichnis
- Medium: Zwischen Konstellationen und Konfigurationen 21
- Die Frage nach den Medien 22
- Wann sind Medien? 33
- Über Medien reden: Medienepistemologie 58
- Computer: Zwischen Oberfläche und Tiefe 73
- Phänomeno-Technische Konfigurationen 75
- Spielräume der computertechnischen Informationsvermittlung 95
- Datenbank: Zwischen digitalen Sammlungen und Sammlungstechnologien 117
- Was sind Datenbanken? 121
- Datenbanklogiken: Zur Datenbank als symbolischer Form 131
- Gegen die Datenbank als Prinzip: Mikrologiken der digitalen Datenhaltung 145
- Banken, Basen, Reservoirs: Information Storage and Retrieval 149
- Information: Zwischen begrifflicher Abstraktion und technischer Konkretion 150
- Kommunikation mit Informationssammlungen 167
- Daten und Information: Begriffsklärung 187
- Techno-Logik: Apparaturen, Architekturen, Verfahren 205
- Direct Access: Zur Festplatte als Herausforderung digitaler Datenbanken 206
- Datenbankmodelle: Architekturen für Datenunabhängigkeit 221
- Data + Access: Datenmodelle und Algorithmen 242