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345Schluss
ist der Musiker Justin Bieber (Klout Score 92) ähnlich einflussreich wie der aktuelle
Präsident der Vereinigten Staaten Barack Obama (Klout Score 99). Dies ist richtig
und falsch zugleich. Dennoch ist der Vergleich schief, da Obama als Präsident der
Vereinigten Staaten jenseits des court of public opinion über vielfältige Einfluss- und
Handlungsmöglichkeiten verfügt, die ein Popstar wie Justin Bieber nicht hat.
Ein hoher Klout Score ist dementsprechend nur ein Indikator dafür, dass den
von einem Nutzer geposteten Nachrichten in den Streams anderer Nutzer Auf-
merksamkeit geschenkt wird und diese nicht unbemerkt vorbeifließen. Ähnlich
wie die Mediadaten von Zeitungen und Zeitschriften oder die Einschaltquoten
im Fernsehen ist der Klout Score eine Kennzahl der potenziellen Reichweite eines
Nutzers im sozialen Web.33 Beziffert wird also der Einfluss einer Person in einem
spezifischen Kontext. Doch dieser Wert kann auch als Indiz für die Autorität
oder Macht dieser Person außerhalb sozialer Netzwerke genommen werden. Eben
hierin besteht das Problem, denn Einfluss ist weder eine eindeutige noch eine un-
umstrittene Kategorie. Indem der Klout Score einer Person eine Kennzahl zwischen
1 und 100 zuweist, kollabieren diese vielfältigen Unterschiede in einem scheinbar
eindeutigen und vermeintlich global gültigen Wert. Allzu leicht kann hierbei der
Eindruck entstehen, dass sich in dieser Zahl die Wirklichkeit widerspiegelt, wie
Roberto Simanowski die Suggestivkraft des Quantitativen pointiert auf den Punkt
gebracht hat: »With numbers it is pure reality that speaks« (Simanowski 2012a: 24).
Die Gefahr liegt infolgedessen in der Überschätzung der Aussagekraft des Klout
Score und dementsprechend auch von der Bedeutung von Social Media. Der Klout
Score ist nicht nur Spiegel der Wirklichkeit, sondern schafft eine Realität, in der
auf Grundlage von Metriken entschieden und gehandelt wird und in der Nutzer
strategisch versuchen, den eigenen Klout Score zu optimieren (vgl. Stevenson 2012;
Perks 2012). Ähnlich wie bei quantenmechanischen Messungen verändert der
Klout Score die Realität. Letzteres ist jedoch keine einmalige Messung, sondern
eine permanente quantitative Evaluierung von unseren Handlungen in, mit und
durch digitale Medien(technologien). Genau das gilt es kritisch zu beleuchten und
auf die gesellschaftlichen und kulturellen Konsequenzen hin zu befragen. Einen
möglichen Anknüpfungspunkt hierfür eröffnet Jon McKenzies These, dass Macht
und Wissen im ausgehenden 20. und beginnenden 21. Jahrhundert immer stärker
dem Dogma der Performance unterliegt: »[P]erformance will be to the twentieth and
twenty-first centuries what discipline was to the eighteenth and nineteenth, that is,
an onto-historical formation of power and knowledge« (McKenzie 2001: 18). Pro-
duktivität, Effektivität und Wirksamkeit seien nunmehr die entscheidenden gesell-
schaftlichen Faktoren, welche zumeist auf Grundlage quantitativer Kenngrößen
evaluiert würden (vgl. McKenzie 2001: 97).
33 | Diese Kontextgebundenheit versucht Klout durch die Einbeziehung von Daten
aus Wikipedia und der Suchmaschine Bing jedoch tendenziell zu überwinden. So hat
Barack Obama einen höheren Einflusswert als Justin Bieber erst, seit Wikipedia-
Daten in die Kalkulation des Klout Score einbezogen werden (vgl. Fernandez 2012).
Digitale Datenbanken
Eine Medientheorie im Zeitalter von Big Data
- Titel
- Digitale Datenbanken
- Untertitel
- Eine Medientheorie im Zeitalter von Big Data
- Autor
- Marcus Burkhardt
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-SA 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3028-6
- Abmessungen
- 14.7 x 22.4 cm
- Seiten
- 392
- Kategorie
- Informatik
Inhaltsverzeichnis
- Medium: Zwischen Konstellationen und Konfigurationen 21
- Die Frage nach den Medien 22
- Wann sind Medien? 33
- Über Medien reden: Medienepistemologie 58
- Computer: Zwischen Oberfläche und Tiefe 73
- Phänomeno-Technische Konfigurationen 75
- Spielräume der computertechnischen Informationsvermittlung 95
- Datenbank: Zwischen digitalen Sammlungen und Sammlungstechnologien 117
- Was sind Datenbanken? 121
- Datenbanklogiken: Zur Datenbank als symbolischer Form 131
- Gegen die Datenbank als Prinzip: Mikrologiken der digitalen Datenhaltung 145
- Banken, Basen, Reservoirs: Information Storage and Retrieval 149
- Information: Zwischen begrifflicher Abstraktion und technischer Konkretion 150
- Kommunikation mit Informationssammlungen 167
- Daten und Information: Begriffsklärung 187
- Techno-Logik: Apparaturen, Architekturen, Verfahren 205
- Direct Access: Zur Festplatte als Herausforderung digitaler Datenbanken 206
- Datenbankmodelle: Architekturen für Datenunabhängigkeit 221
- Data + Access: Datenmodelle und Algorithmen 242