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iit-Themenband – Digitale Souveränität 45
Folglich soll Souveränität deshalb als soziale Haltung verstanden werden (s. Abbil-
dung 1.3.1). Dieser Gedanke ist inspiriert von der Theorie des Soziologen George H.
Mead (1976), der sich mit der Entstehung von Identität und Gesellschaft beschäftigte.
Aus seiner Perspektive entwickelt sich Identität durch Interaktionserfahrungen, die
sich im Laufe der Sozialisation anhäufen. Der springende Punkt ist, dass der Einzelne
sich in den Reaktionen der Anderen wiederfindet, im Sinne eines leicht verzerrten
Spiegels, wodurch sich Identität bildet. Die Fähigkeit, sich in andere hineinzuverset-
zen, ist demnach Bedingung dafür, dass so etwas wie Gesellschaft überhaupt ent-
steht. Eine Haltung in diesem Zusammenhang ist das auf Erfahrungen basierende
Bewusstsein der eigenen Gestaltungsfähigkeit gegenüber seiner Lebenswelt. Sie ver-
eint ein implizites „Bauchgefühl“ und explizites Regelwissen; sie wird durch ein Indi-
viduum verkörpert, aber sie ist nicht allein Kognition, sondern entsteht in Bezug zur
sozialen Lebenswelt.
Souveränität kann auf diese Weise als eine Haltung zwischen zwei extremen Grund-
positionen beschrieben werden: zwischen Kontrolle und Vertrauen. Kontrolle ist die
gerichtete Steuerung von Prozessen, unter der Annahme, dass kausale Beziehungen
zwischen strukturellen Bedingungen und individuellen Handlungsweisen bestehen.
Die Motivation, Kontrolle auszuüben, kann auf struktureller Ebene politischer Natur
sein, beispielsweise im Sinne von Datenschutzmaßnahmen, die Unternehmen kont-
rollieren und Bürger schützen sollen. Auf individueller Ebene ist Kontrolle der Ver-
such, die Geschicke des Lebens in gerichtete Bahnen zu lenken – wenn etwa jemand
spezifische Qualifikationen für ein bestimmtes Berufsbild unter der Annahme erwirbt,
dass genau diese Qualifikationen zum ersehnten Erfolg führen.
Mit der Wette auf Kontrolle kann jedoch leicht die Blindheit für Einflussfaktoren ein-
hergehen, die man nicht kontrolliert und auch nicht kontrollieren kann. Der Kontrolle
gegenüber steht das Extrem des Vertrauens. Dabei geht es um die Überzeugung,
dass andere sich redlich verhalten und sich nicht eigennützig gegen einen selbst
wenden. Dies beinhaltet auch die Auffassung, dass Werte und Normen von univer-
seller Natur sind und unabhängig vom eigenen Handeln Bestand haben. Auf struktu-
reller Ebene schlägt sich dies insofern nieder, dass gesellschaftliche Trends als gege-
ben und unausweichlich hingenommen werden. Vertrauen impliziert demnach eine
fatalistische Haltung gegenüber dem individuellen und gesellschaftlichen Leben. Was
ist der richtige Weg zwischen diesen beiden Extremen? Und wie entsteht eine souve-
räne Haltung, die sich der eigenen Gestaltungsfähigkeit sowie Verantwortung
bewusst ist? Wie kann eine solche Haltung gefördert werden?
Teilhabegerechtigkeit
Es gibt eine Form der Beziehung zwischen gesellschaftlichen Strukturen und individu-
ellen Bürgern, die einen übergeordneten Stellenwert einnimmt: die Teilhabegerech-
Digitale Souveränität
Bürger | Unternehmen | Staat
- Titel
- Digitale Souveränität
- Untertitel
- Bürger | Unternehmen | Staat
- Herausgeber
- Volker Wittpahl
- Verlag
- Springer Vieweg
- Ort
- Wiesbaden
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-662-55796-9
- Abmessungen
- 16.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 196
- Schlagwörter
- Digitales Lernen, Datenaufbereitung, Industrie 4.0, Breitbandausbau, Echtzeitvernetzung, Wertschöpfung und Arbeitsmarkt, Gesellschaftlicher Wandel, Digitale Geschäftsmodelle, Arbeitswelt 4.0
- Kategorie
- Medien