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iit-Themenband – Digitale Souveränität 53
repräsentieren, indem sie sich über die Werkzeuge der sozialen Medien, wie das
Teilen von Fotos, Likes, Friends oder Hashtags, eine Online-Identität erarbeiten. Die-
ses „Online-Selbst“ birgt jedoch die Gefahr, so argumentiert Turkle, dass wir glau-
ben, wir präsentierten uns selbst, aber in Wahrheit erzeugten wir nur eine bereinigte,
perfektionierte Version unserer Identität. Was uns als Menschen ausmacht und
wodurch wir zu uns selbst finden, wie Ängste, Unsicherheiten, Fehler oder die Suche
nach Zugehörigkeit, verschwindet in einer Online-Identität, und es verbleibt eine ste-
rile Selbst-Illusion. Während erwachsene Menschen mit dem Druck dieser Identitäts-
arbeit umgehen und ihre Implikationen einordnen können, befürchtet Turkle, dass
die ständige Vernetzung, die allgegenwärtige Öffentlichkeit und die Nicht-Löschbar-
keit von Identitätsbausteinen die Identitätsbildung von Teenagern erheblich stören,
denn es bleibt kein Raum für Fehler, Suchen und Vergessen.
Eine Studie von Denise Agosto und June Abbas (2017) zeigt jedoch, dass die von
Turkle beschriebene Ambivalenz von Online-Identitäten den jungen Menschen heute
bewusst ist. Insbesondere ältere Teenager sind nicht naiv hinsichtlich ihrer Datenspu-
ren. Im Gegenteil, sie fühlen sich unwohl bei dem Gedanken, dass Menschen, die sie
nicht kennen, ihre Fotos anschauen, und sorgen sich darüber, den Überblick über
ihre hinterlassenen persönlichen Daten zu verlieren. Dennoch beteiligen sie sich an
sozialen Netzwerken und posten dort Bilder oder Kommentare aus ihrem privaten
Leben, weil sie den Erwartungsdruck ihrer Peers verspüren, sich auch an der Online-
Selbstdarstellung zu beteiligen.
Souveränität durch Vergessen
Die „Hashtag-Individualisierung“ ist offenbar ein soziodigitaler Trend, der die gene-
relle gesellschaftliche Individualisierung beschleunigt – nicht jedoch, ohne die kleinste
Einheit, den Menschen, unverändert zu lassen. Vielmehr entstehen persönliche Her-
ausforderungen für den Einzelnen, mit der Spannung zwischen Selbstentfaltung und
Zugehörigkeit, digitaler Vielfalt und datentechnischer Unlöschbarkeit umzugehen.
Kontrolle und Vertrauen sind auch in diesem Zusammenhang zwei Grundhaltungen,
in deren Spannungsfeld sich digitale Souveränität herausbilden muss.
Kontrolle beschränkt den Zugang zu Online-Medien. Diese protektionistische Hal-
tung ist in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der meisten sozialen Netzwerke
enthalten; so hat zum Beispiel Facebook für eine Mitgliedschaft eine Altersfreigabe
ab 13 Jahren. In der Praxis ist diese von den Unternehmen selbstauferlegte Kontrolle
allerdings eine Farce, da es, siehe Facebook, keine Mechanismen gibt, das tatsächli-
che Alter einer Person zu kontrollieren. Die EU-Datenschutzreform, die 2018 in Kraft
tritt, erkennt dies insofern, als soziale Netzwerke nur für Personen ab 16 Jahren
freigegeben werden sollen, und die Unternehmen sind angehalten, dies technisch zu
kontrollieren oder Einwilligungen der Eltern einzuholen.
Digitale Souveränität
Bürger | Unternehmen | Staat
- Titel
- Digitale Souveränität
- Untertitel
- Bürger | Unternehmen | Staat
- Herausgeber
- Volker Wittpahl
- Verlag
- Springer Vieweg
- Ort
- Wiesbaden
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-662-55796-9
- Abmessungen
- 16.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 196
- Schlagwörter
- Digitales Lernen, Datenaufbereitung, Industrie 4.0, Breitbandausbau, Echtzeitvernetzung, Wertschöpfung und Arbeitsmarkt, Gesellschaftlicher Wandel, Digitale Geschäftsmodelle, Arbeitswelt 4.0
- Kategorie
- Medien