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iit-Themenband – Digitale Souveränität 107
mehr ich weiß, umso geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich aus meinem Wis-
sen die falschen Schlussfolgerungen ziehe.
Wenn Politiker an die Emotionen der Wähler appellieren müssen, um von ihnen den
Auftrag zu erhalten, ihre politischen Ideen umsetzen zu können, bietet Big Data den
perfekten Ausgangspunkt. War es für das Agenda-Setting im klassischen Sinne noch
notwendig, etwa über Umfragen selbst herauszufinden, welche Themen die Bürger
bewegen, lassen sich inzwischen – von den Menschen größtenteils unbemerkt – unmit-
telbare Anknüpfungspunkte an emotionale Befindlichkeiten aus Big Data auslesen.
Wenige stabile Muster über die Einstellungen einer ausreichend großen Personengruppe
sind alles, was es für das Zusammenspinnen eines emotionalen Narrativs3 bedarf.
Politischer Erfolg ist für denjenigen wahrscheinlicher, der seine Themen nach bereits
im Vorhinein vorhandener Zustimmung definiert. Es spielt keine Rolle mehr, ob
Aussagen, im Wahlkampf getroffen, vollends der Wahrheit entsprechen – solange
sich mit ihnen genug Wähler mobilisieren lassen, die sich durch deren Inhalt in ihren
Meinungen bestätigt sehen und sich wahrgenommen und ernst genommen füh-
len. Dieser Effekt wird dadurch verstärkt, dass die politische Meinungsbildung im
digitalen Raum vor allem innerhalb bereits gefestigter Filterblasen stattfindet, in
denen selbst krude Thesen einen Anschein von Common Sense erlangen und sich
den Mantel des sogenannten gesunden Menschenverstands umhängen können.
Für Politiker, die ihre Arbeit bisher auf der Grundlage rationaler Argumentation
verfolgt haben, steigt innerhalb ihres dem Code Macht/Ohnmacht verpflichteten
gesellschaftlichen Teilsystems (vgl. Luhmann 1987) der Anreiz, es selbst auch nicht
mehr allzu genau mit der Wahrheit zu nehmen, insbesondere wenn „alternative
Fakten“ mehr Aufmerksamkeit und Zustimmung einbringen. Wissen über emotio-
nale Anknüpfungspunkte und Einstellungsmuster erlangt allerdings nur, wer
Zugang zu den entsprechenden Daten besitzt. Diese Bedingung begünstigt die Ver-
lagerung politischen Einflusses und politischer Gestaltungsmöglichkeiten von
Berufspolitikern bis hin zu Managern, die Big Data kontrollieren (wie etwa im aktu-
ellen US-Kabinett), sei es durch eigene Nutzung oder den Verkauf (oder die Bereit-
stellung) der Daten.
An wissenschaftsethische Standards bei der Datenerfassung und -auswertung fühlt
sich dieser Personenkreis nicht immer zwingend gebunden. Es besteht die Gefahr
einer spiralförmigen Selbstverstärkung der skizzierten Machtverschiebung, die die
digital getriebene Entdemokratisierung beschleunigen wird, wenn keine Wider-
stände gegen diese Entwicklung auftreten sollten.
3 Als Narrativ wird hier eine emotional wirksame Geschichte verstanden, die ein Gefühl des
„Verstanden-Werdens“ vermittelt.
Digitale Souveränität
Bürger | Unternehmen | Staat
- Titel
- Digitale Souveränität
- Untertitel
- Bürger | Unternehmen | Staat
- Herausgeber
- Volker Wittpahl
- Verlag
- Springer Vieweg
- Ort
- Wiesbaden
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-662-55796-9
- Abmessungen
- 16.8 x 24.0 cm
- Seiten
- 196
- Schlagwörter
- Digitales Lernen, Datenaufbereitung, Industrie 4.0, Breitbandausbau, Echtzeitvernetzung, Wertschöpfung und Arbeitsmarkt, Gesellschaftlicher Wandel, Digitale Geschäftsmodelle, Arbeitswelt 4.0
- Kategorie
- Medien