Seite - 20 - in Drei Meister - Balzac - Dickens - Dostojewski
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zerrinnen, mit Wollust malt er die Paläste der Faubourgs, die Magie des
Geldes. Die Worte Millionen, Milliarden, das ist immer hingestammelt mit
jenem ohnmächtigen Nicht-mehr-sprechen-können, dem Röcheln letzten
sinnlichen Begehrens. Voluptuös wie die Frauen eines Serails sind die
Prunkstücke der Gemächer gereiht, wie wertvolle Kronjuwelen die Insignien
der Macht ausgebreitet. Bis in seine Manuskripte hat sich dieses Fieber
eingebrannt. Man kann sehen, wie die anfangs ruhigen und zierlichen Zeilen
aufschwellen gleich den Adern eines Zornigen, wie sie taumeln, rascher
werden, wie sie rasend sich überhetzen, befleckt von den Spuren des Kaffees,
mit dem er die ermatteten Nerven vorwärtspeitschte, hört fast das rastlose,
ratternde Keuchen der überhitzten Maschine, den fanatischen, maniakalischen
Krampf ihres Schöpfers, diese Gier des Don Juan du verbe, des Menschen,
der alles besitzen will und alles haben. Und sieht den nochmaligen
impetuosen Ausbruch des ewig Ungenügsamen in den Korrekturbogen, deren
starres Gefüge er immer wieder aufriß wie der Fiebernde seine Wunde, um
noch einmal das rote pochende Blut der Zeilen durch den schon starren,
erkalteten Körper zu jagen.
Solche titanische Arbeit bliebe unverständlich, wäre sie nicht Wollust
gewesen und noch mehr: der einzige Lebenswille eines asketisch allen
anderen Machtformen entsagenden Menschen, eines Leidenschaftlichen, dem
die Kunst die einzige Möglichkeit der Entäußerung war. Einmal, zweimal
hatte er ja flüchtig in anderem Material geträumt. Er hatte sich im praktischen
Leben versucht, zum erstenmal, als er, verzweifelnd am Schaffen, die
wirkliche Geldgewalt wollte, Spekulant wurde, eine Druckerei gründete und
eine Zeitung; aber mit jener Ironie, die das Schicksal immer für Abtrünnige
bereit hat, hat er, der in seinen Büchern alles kannte, die Coups der
Börsenleute, die Raffinements der kleinen und der großen Geschäfte, die
Schliche der Wucherer, der jedem Ding seinen Wert wußte, der Hunderten
von Menschen in seinen Werken die Existenz errichtet, ein Vermögen mit
richtigem, logischem Aufbau gewonnen hatte, er selbst, der Grandet, Popinot,
Crevel, Goriot, Bridau, Nucingen, Wehrbrust und Gobsec reich gemacht hat,
er selbst hat sein Kapital verloren, ist schmählich zugrunde gegangen, und
nichts blieb ihm als jenes furchtbare Bleigewicht von Schulden, die er dann
stöhnend auf seinen breiten Lastträgerschultern das halbe Jahrhundert seines
Lebens weiterschleppte, Helote der unerhörtesten Arbeit, unter der er eines
Tages mit zersprengten Adern lautlos zusammenbrach. Die Eifersucht der
verlassenen Leidenschaft, der einzigen, der er sich hingegeben hatte, der
Kunst, hat sich furchtbar an ihm gerächt. Selbst die Liebe, den andern ein
wunderbarer Traum über ein Erlebtes und Wirkliches, wurde bei ihm erst
Erlebnis aus einem Traum. Frau von Hanska, seine spätere Gattin,
die étrangère, der jene berühmten Briefe galten, war von ihm leidenschaftlich
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Drei Meister
Balzac - Dickens - Dostojewski
- Titel
- Drei Meister
- Untertitel
- Balzac - Dickens - Dostojewski
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1920
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 134
- Schlagwörter
- Literatur, Schriftsteller
- Kategorien
- Weiteres Belletristik
Inhaltsverzeichnis
- Romain Rolland als Dank für seine unerschütterliche Freundschaft in lichten und dunklen Jahren 5
- Balzac 7
- Dickens 29
- Dostojewski 50
- Einklang 51
- Das Antlitz 54
- Die Tragödie seines Lebens 56
- Sinn seines Schicksals 66
- Die Menschen Dostojewskis 77
- Realismus und Phantastik 90
- Architektur und Leidenschaft 103
- Der Überschreiter der Grenzen 113
- Die Gottesqual 121
- Vita Triumphatrix 131