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Drei Meister - Balzac - Dickens - Dostojewski
Seite - 26 -
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dritten zum Train, schüttet Pulver auf die Pfannen ihrer Gewehre und überläßt sie dann ihrer inneren ungebändigten Kraft. Die „Comédie humaine“ hat trotz der schönen – aber nachträglichen! – Vorrede keinen inneren Plan. Sie ist planlos, wie das Leben ihm selbst planlos erschien, sie zielt nicht auf eine Moral hin und nicht auf eine Übersicht, sie will als Wandelndes das ewig sich Wandelnde zeigen; in all diesem Ebben und Fluten ist keine dauernde Kraft, sondern nur ein momentaner Zug wie die geheimnisvolle Anziehung des Mondes, jene unkörperliche, wie aus Wolken und Licht gewebte Atmosphäre, die man Epoche nennt. Dieses neuen Kosmos einziges Gesetz wäre, daß alles, was gleichzeitig aufeinander wirkt, auch sich selbst verändert, daß nichts frei wie ein Gott, der nur von außen stieße, wirkt, sondern daß alle die Menschen, deren unbeständige Vereinung erst die Epoche ausmacht, ebenso von der Epoche geschaffen werden, daß ihre Moral, ihre Gefühle ebenso Produkte sind wie sie selbst. Daß alles Relativitäten sind, daß, was in Paris Tugend genannt wird, hinter den Azoren ein Laster sei, daß für nichts feste Werte vorhanden seien und daß leidenschaftliche Menschen die Welt so werten müssen, wie Balzac sie die Frau werten läßt: daß sie immer wert sei, was sie ihn koste. Aufgabe des Dichters, dem – schon weil er selbst nur Produkt, Kreatur seiner Zeit ist – versagt ist, das Bleibende aus diesem Wandel zu gewinnen, kann nur sein, den atmosphärischen Druck, den geistigen Zustand seiner Epoche zu schildern, das Wechselspiel der gemeinsamen Kräfte, die die Millionen Moleküle beseelten, zusammenfügten und wieder zerteilten. Meteorologe der sozialen Luftströmungen, Mathematiker des Willens, Chemiker der Leidenschaften, Geologe der nationalen Urformen – ein vielfältiger Gelehrter zu sein, der mit allen Instrumenten den Körper seiner Zeit durchdringt und behorcht, und gleichzeitig ein Sammler aller Tatsachen, ein Maler ihrer Landschaften, ein Soldat ihrer Ideen, das zu sein ist Balzacs Ehrgeiz, und darum war er so unermüdlich im Verzeichnen ebenso der grandiosen wie der infinitesimalen Dinge. Und so ist sein Werk nach dem Dauerwort Taines das größte Magazin menschlicher Dokumente seit Shakespeare geworden. Seinen Zeitgenossen und vielen der heutigen ist Balzac freilich nur der Verfasser von Romanen. So betrachtet, durch das ästhetische Glas visiert, erscheint er nicht so überlebensgroß. Denn er hat eigentlich wenigestandard works. Balzac will nicht am Einzelwerk gemessen werden, sondern am Ganzen, will betrachtet sein wie eine Landschaft mit Berg und Tal, unbegrenzter Ferne, verräterischen Klüften und raschen Strömen. Mit ihm beginnt – man könnte fast sagen, hört auch auf, wäre nicht Dostojewski gekommen – der Gedanke des Romans als Enzyklopädie der inneren Welt. Die Dichter vor ihm wußten nur zweierlei, um den schläfrigen Motor der Handlung nach vorne zu treiben: sie statuierten entweder den von außen wirkenden Zufall, der wie ein scharfer Wind sich in die Segel legte und das Fahrzeug nach vorne trieb, oder sie wählten als die von innen 26
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Drei Meister Balzac - Dickens - Dostojewski
Titel
Drei Meister
Untertitel
Balzac - Dickens - Dostojewski
Autor
Stefan Zweig
Datum
1920
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.7 cm
Seiten
134
Schlagwörter
Literatur, Schriftsteller
Kategorien
Weiteres Belletristik

Inhaltsverzeichnis

  1. Romain Rolland als Dank für seine unerschütterliche Freundschaft in lichten und dunklen Jahren 5
  2. Balzac 7
  3. Dickens 29
  4. Dostojewski 50
  5. Einklang 51
  6. Das Antlitz 54
  7. Die Tragödie seines Lebens 56
  8. Sinn seines Schicksals 66
  9. Die Menschen Dostojewskis 77
  10. Realismus und Phantastik 90
  11. Architektur und Leidenschaft 103
  12. Der Überschreiter der Grenzen 113
  13. Die Gottesqual 121
  14. Vita Triumphatrix 131
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