Page - 59 - in Brasilien - Ein Land der Zukunft
Image of the Page - 59 -
Text of the Page - 59 -
produzieren. Deshalb ist die Wirtschaftsgeschichte Brasiliens
voll überraschender Umstellungen und vielleicht sogar dramatischer als seine
politische Geschichte. Denn in der Regel ist der wirtschaftliche Charakter
eines Landes von Anfang an eindeutig bestimmt, jedes spielt gleichsam auf
einem einzigen Instrument, und der Rhythmus verändert sich nicht wesentlich
in den Jahrhunderten. Das eine Land ist ein Gartenland, das andere gewinnt
seinen Reichtum aus Holz oder Erz, das dritte von Viehzucht. Die Linie der
Produktion mag in einzelnen Aufstiegen und Abstiegen schwanken, aber die
Richtung bleibt im allgemeinen dieselbe. Brasilien dagegen ist ein Land der
ständigen Wandlungen und brüsken Umstellungen. Eigentlich hat jedes
Jahrhundert hier ein anderes wirtschaftliches Charakteristikum gezeitigt, und
in dem dramatischen Ablauf hat jeder Akt seinen Namen, Gold oder Zucker
oder Kaffee oder Gummi oder Holz. In jedem Jahrhundert, eigentlich jedem
halben Jahrhundert, offenbarte Brasilien bisher von seinem Reichtum immer
eine andere und neue Überraschung.
Im allerersten Anfang, im sechzehnten Jahrhundert, war es das Holz,
das pau-brasil, das dem Lande seine wirtschaftliche Marke und sogar ein für
allemal seinen Namen gab. Als die ersten Boote an dieser Küste anlegten,
waren die Europäer zunächst arg enttäuscht. Sie fanden nichts zu holen und
zu rauben, Brasilien hatte nichts für sie als seine Natur, die sich den
Menschen noch nicht unterworfen hatte. Nem oiro, nem prata, diese knappe
Formel des ersten Berichts genügte, um den kommerziellen Wert des neuen
Landes zunächst auf Null herabzusetzen. Man konnte den Eingeborenen, die
neugierig auf die fremden, bekleideten, weißen Wesen blickten, nichts
nehmen, weil sie nichts besaßen außer ihrer eigenen Haut und ihrem eigenen
Haar. Nicht wie in Peru oder in Mexiko hatte hier eine nationale Kultur
vorgearbeitet, die Fasern zu Stoffen verwebte, Erze aus den Tiefen der Erde
holte und zu Schmuck und Waffen verhämmerte. Die nackten Kannibalen der
Terra de Santa Cruz hatten noch nicht einmal die primitivste Stufe der
Zivilisation erreicht, sie wußten weder die Erde zu bebauen, noch Vieh zu
züchten, noch Hütten zu bauen. Sie griffen und schlangen einzig, was sie auf
den Bäumen und im Wasser fanden und zogen weiter, sobald sie einen Bezirk
abgegrast hatten. Wer aber nichts hat, dem kann man nichts nehmen;
enttäuscht kehrten die Matrosen auf ihre Schiffe zurück aus einem Land, von
dem nichts mitzunehmen lohnt, denn selbst diese Menschen dort erwiesen
sich nicht als brauchbare Ware. Fing man sie als Sklaven ein und trieb man
sie zur Arbeit an, so verbrauchten sie sich unter der Peitsche gewöhnlich nach
ein paar Wochen, legten sich hin und starben.
Das einzige, was diese ersten Schiffe heimbrachten, waren Kuriositäten, ein
paar hurtige Äffchen und jene wunderbar vielfarbigen Papageien, wie sie die
vornehmen Damen Europas gern als Luxustiere in Käfigen hielten, und um
59
back to the
book Brasilien - Ein Land der Zukunft"
Brasilien
Ein Land der Zukunft
- Title
- Brasilien
- Subtitle
- Ein Land der Zukunft
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1941
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 200
- Category
- Geographie, Land und Leute
Table of contents
- Einleitung 5
- Geschichte 14
- Wirtschaft 57
- Blick auf die brasilianische Kultur 94
- Rio de Janeiro 117
- Einfahrt 121
- Das alte Rio 124
- Spazieren durch die Stadt 128
- Die kleinen Straßen 135
- Kunst der Kontraste 138
- Ein paar Dinge, die morgen vielleicht schon entschwunden sind 140
- Gärten, Berge und Inseln 144
- Sommer in Rio 148
- Blick auf São Paulo 152
- Besuch beim Kaffee 160
- Besuch hei den versunkenen Goldstädten 167
- Flug über den Norden 180
- Daten zur Geschichte Brasiliens 197