Page - 84 - in Brasilien - Ein Land der Zukunft
Image of the Page - 84 -
Text of the Page - 84 -
Export, und in der Handelsbilanz kommt das Gummi in raschen und wilden
Sprüngen dem Kaffee bedenklich nahe; die Einführung des Automobils
eröffnet unbegrenzte Perspektiven. Ein Jahrzehnt noch, und Manaus wird
nicht nur die reichste Stadt Brasiliens sondern eine der reichsten der Welt
sein.
Aber ebenso rasch wie sie aufgestiegen war, platzt diese schillernde Blase.
Ein einziger Mann hat sie heimtückisch aufgestochen. Ein junger Engländer
holt, das staatliche Verbot der Ausfuhr der Hevea brasiliensis oder deren
Samen durch Bestechung geschickt zunichte machend, nicht weniger als
siebzigtausend dieser Samen nach England hinüber, wo in Kew Gardens die
ersten Bäume gepflanzt und dann nach Ceylon, Singapore, Sumatra und Java
übertragen werden. Damit ist das brasilianische Monopol gebrochen, und
seine Produktion kommt rasch in die Hinterhand. Denn die systematisch
angelegten Pflanzungen auf den malaiischen Inseln, wo in meilenweiten
geraden Linien die Gummibäume wie Grenadiere aufgereiht stehen,
ermöglichen eine viel raschere und leichtere Ausbeutung als inmitten des
Urwalds, wo jeder einzelne Baum erst aus dem Dickicht freigelegt werden
muß. Wie immer unterliegt die altmodische, improvisierte, brasilianische
Produktion der überlegenen modernen Organisation.
Der Abstieg geschieht dann lawinenhaft schnell. 1900 produziert Brasilien
noch 26 750 Tonnen gegen bloße vier jämmerliche Tonnen aus Asien. Noch
1910 hat es die Oberhand mit seinen 42 000 Tonnen gegen 8 200 asiatische.
Aber 1914 ist es schon geschlagen mit 37 000 Tonnen gegen 71 000, und von
dieser Stunde an geht er rascher und rascher abwärts; 1938 produziert es nur
mehr 16 400 Tonnen gegen 365 000 aus den malaiischen Staaten allein und
300 000 der holländischen Kolonie, 58 000 von Indochina und 52 000 aus
Ceylon. Und selbst diese ärmlichen 16 000 Tonnen erzielen nur einen Teil des
ursprünglichen Preises. Das Theater von Manaus sieht nicht mehr wie einst
die Truppen der ersten europäischen Theater, die Vermögen zerrinnen, der
Traum des flüssigen Goldes ist ausgeträumt. Wieder ist ein Zyklus zu Ende,
nachdem er seine geheimnisvolle Pflicht erfüllt, einer bisher schlafenden
Provinz einen Einschuß von Leben und Vitalität zu geben und sie in Handel
und Verkehr mit der Gesamtheit der Nation enger zu verbinden.
Noch einmal wird sich zu Ende des neunzehnten Jahrhunderts das innerste
Gesetz der brasilianischen Entwicklung erfüllen: daß es, leicht verführt von
dem momentanen Gewinn eines Hauptartikels, immer eine Krise benötigt, um
sich umzustellen, und daß somit alle diese zyklischen Krisen seiner
vielfältigen Gesamtentwicklung eigentlich eher förderlich als schädlich
gewesen sind. Die letzte große Umstellung, zu der Brasilien genötigt gewesen
84
back to the
book Brasilien - Ein Land der Zukunft"
Brasilien
Ein Land der Zukunft
- Title
- Brasilien
- Subtitle
- Ein Land der Zukunft
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1941
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 200
- Category
- Geographie, Land und Leute
Table of contents
- Einleitung 5
- Geschichte 14
- Wirtschaft 57
- Blick auf die brasilianische Kultur 94
- Rio de Janeiro 117
- Einfahrt 121
- Das alte Rio 124
- Spazieren durch die Stadt 128
- Die kleinen Straßen 135
- Kunst der Kontraste 138
- Ein paar Dinge, die morgen vielleicht schon entschwunden sind 140
- Gärten, Berge und Inseln 144
- Sommer in Rio 148
- Blick auf São Paulo 152
- Besuch beim Kaffee 160
- Besuch hei den versunkenen Goldstädten 167
- Flug über den Norden 180
- Daten zur Geschichte Brasiliens 197