Page - 210 - in Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild - Wien und Niederösterreich, 2. Abteilung: Niederösterreich, Volume 4
Image of the Page - 210 -
Text of the Page - 210 -
210
beschließt oft spät in der Nacht ein Tanz zur Ziehharmonika oder Zither die gemeinsame
Arbeit. Da in diesem Falle mich die Bursche selbstverständlich bei der Unterhaltung sind,
verliert die Rockenstube iu sittlicher Hinsicht nicht selten ihre Harmlosigkeit.
Seit einigen Jahrzehnten vereinsamt in vielen Gegenden die altehnvürdige Rocken-
stube; der nüchterne Zeitgeist ist auch iu diese stillen, lauschigen Räume gedrungen und hat
vielfach mit dem Spinnrocken zugleich auch die Zauberfäden einer lieblichen Poesie
zerstört. Wie das Spinnen, so werden auch andere Arbeiten gemeinsam verrichtet, so das
„Moststößen" (Obststampfen, wo mau noch keine Kelter hat), Äpfel- und Rübeuschäleu,
Krautabhäupten, Federnschleißen, Brecheln. Vorwitzige Besucher werden noch jetzt zuweilen
in der Brcchelhütte von den Mägden arg zugerichtet, indem diese ihnen das Gesicht
schwärzen, die Kleider mit „Agen" (Flachsabfällen) vollstopfen und dergleichen.
Zu Beginn des Spätherbstes feiert die Kirche zwei Feste unmittelbar nacheinander,
an welchen unser Volk in verschiedener Weise Antheil nimmt: Allerheiligen und Allerseelen.
Zu Allerheil igen wird ein eigenes Brod gebacken, der zopfartig geflochtene
„Allerheiligen-" oder „Heiligenstritzel". Mit diesem werden zunächst die Hausaugehörigeu
und die Pathenkinder betheilt, welche letztere überdies noch an vielen Orten mit Obst, Nüssen
und Geld beschenkt oder gar zum Mittagstische geladen werden. Aber auch arme Leute,
Kiuder sowohl als mich Erwachsene bitten in deu Häusern der reicheren um eine« Heiligen-
stritzel. In einigen Gegenden gibt man ihnen ein Laibchen Weißbrod, am Wechsel am
Vorabend schwärzeres, am Festtag weißeres Brod, beides von der Hausmutter gebacken,
wofür die Empfänger zn einer Gegenleistung verpflichtet werden, welche im Gebet für die
armen Seelen überhaupt und insbesondere für die verstorbenen Familienmitglieder besteht.
(Hier allein erscheint der Heiligenstritzel noch in der Bedeutung eines Armenseelenopfers,
als „Seelzopf".) Die feinen Stritzel für die Pathenkinder dagegen bestellt man beim
Bäcker. Eine wohlhabende Bauernfamilie speudet zu Allerheiligen in der letztgenannten
Gegend wohl an hundert Laibchen an Arme uud die Bäuerin pflegt an diesem Festtage
eigens zu Hause zu bleiben (zu „hüteu"), auf daß ja kein „Zuspreche?" uubeschenkt weggehe.
Im V. O. W. W. sagen die herumziehenden Kinder folgenden kleinen Spruch auf:
„Heiligen (Allerheiligen), heiligen, husch, husch, husch,
A—n Apferl, a Viruderl, a Nuß, Nuß, Nusz!"
Die erste Zeile erklärt den Ausdruck „heiligen geh'n" für Heiligenstritzel sammeln.
Gibt man den kleinen Gästen in einem Hanse nichts, so sagen sie:
Geiziger Vöder, l Wann's uns ni; gebts,
Geizige Moam, Geh n ina so wieder hoam."
In Haag, Strengberg und einigen anderen Orten nahe der oberösterreichischen
Grenze gehen größere Bursche auch iu der Nacht „heiligen", und zwar znweilen maskirt
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Wien und Niederösterreich, 2. Abteilung: Niederösterreich, Volume 4
- Title
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Subtitle
- Wien und Niederösterreich, 2. Abteilung: Niederösterreich
- Volume
- 4
- Editor
- Erzherzog Rudolf
- Publisher
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Location
- Wien
- Date
- 1888
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 17.75 x 26.17 cm
- Pages
- 380
- Keywords
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Categories
- Kronprinzenwerk deutsch
Table of contents
- Landschaftliche Schilderungen aus Niederösterreich 3
- Zur Vorgeschichte Niederösterreichs 123
- Zur Geschichte Niederösterreichs 145
- Zur Volkskunde Niederösterreichs 183
- Die Architektur in Niederösterreich 263
- Burgen und Wohnstätten in Niederösterreich 287
- Malerei und Plastik in Niederösterreich 305
- Volkswirtschaftliches Leben in Niederösterreich 317