Page - 49 - in Kreuzenstein - Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
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bekanntesten Burg des 19. Jahrhunderts führte : König Ludwig II.
begann unter dem Eindruck eines Besuches auf der Wartburg mit
den Planungen fĂĽr Schloss Neuschwanstein, dem nur aus der PerÂ
sönlichkeit des Bauherrn zu erklärenden Denkmal eines durch
Richard Wagners Opernwelt gefilterten, selbständigen MittelalÂ
ter und Ritterbildes, frei von der Bezugnahme auf die materielÂ
len Fakten der Ruine oder den Zwängen dynastischer Tradition.127
Eine der frĂĽhesten politisch konnotierten BurgenrekonstrukÂ
tionen war der Wiederaufbau des Stammsitzes der preuĂźischen
Herrscherfamilie, Hohenzollern bei Hechingen, als königlich
preußische Residenz durch Friedrich August Stüler 1850 – 1867.128
Historische Treue im Umgang mit den wenigen vorhandenen ResÂ
ten musste dabei von Anfang an gegenĂĽber der neuen politischen
Bedeutung der Dynastie in den Hintergrund treten, die im SĂĽden
Deutschlands auch ein Signal der Präsenz gegenĂĽber den mit Ă–sÂ
terreich verbundenen Herrscherhäusern aussenden wollte. Die
der zeitgenössischen Vorstellung einer repräsentativen, tĂĽrmeÂ
reichen mittelalterlichen Burg entsprechende Architektur und
ihre Ausstattung mit zahlreichen Verweisen auf die mittelalterÂ
lichen UrsprĂĽnge der Dynastie sollten die historische LegitimiÂ
tät der Hohenzollern untermauern. Wie zahlreiche andere BurÂ
gen des 19. Jahrhunderts war auch Hohenzollern als dynastischer
Repräsentationsbau der Ă–ffentlichkeit zugänglich ; dem zahlenÂ
den Publikum wurden dabei die leeren Gemächer der KönigsfaÂ
milie präsentiert.129
FĂĽr die unterschiedlichen, ja konträren DeutungsmöglichÂ
keiten der mittelalterlichen Burg im 19. Jahrhundert ist die lange
Restaurierungsgeschichte der Marienburg / Malbork in OstpreuÂ
Ăźen eines der aufschlussreichsten Beispiele. Die erste Phase der
Restaurierung war von einer neuen Wertschätzung des mittelÂ
alterlichen Monuments ausgegangen, fand aber auch vor dem
Hintergrund der historischen Bedeutung des Baues als Sitz der
Hochmeister des Deutschen Ordens statt, auf den sich der preuÂ
Ăźische Staat vor allem nach den Befreiungskriegen verstärkt beÂ
zog.130 Der Initiator der ersten, 1817 begonnenen Restaurierung,
der preußische Staatsmann Theodor von Schön, wollte aus der
Marienburg das Denkmal eines unter preuĂźischer FĂĽhrung geÂ
einten liberalen Deutschland machen – ein Plan, der indes nach
Schöns Tod in sein Gegenteil umschlug : » Die Marienburg wurde
zum Geschichtsdenkmal, das den deutschen Osten legitimieÂ
ren und die deutsche Oberherrschaft auf dem Gebiet bestätigen
sollte. «131 Unter der Leitung Conrad von Steinbrechts wurde die
Marienburg – als » Kaiserschloß «,132 implizit auch als Residenz des
deutschen Kaisers – zwischen 1882 und 1922 durchgreifend im
Sinne des Historismus restauriert und rekonstruiert. Ă„hnlich wie
49Die
Burg als Monument
Kreuzenstein
Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Kreuzenstein
- Subtitle
- Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
- Author
- Andreas Nierhaus
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79557-5
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 258