Page - 81 - in Kreuzenstein - Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
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eigenhändig ausführt « ; der professionelle Architekt hingegen
bilde » dasjenige stetig ziehende Gewicht im Uhrwerk, das im
mer da ist, immer anordnet, immer alles überwacht, damit die
Arbeit nicht stille steht und alles klappt. Dieser Architekt durfte
aber kein blosser Bauführer sein, sondern er musste gleichfalls
aus eigener Kraft einem solchen Werke gewachsen, musste vor
allem selbst ein ganzer Künstler sein [ … ]. «279
Die Mitglieder der Bauhütte, die Wilczek eigens für den Bau
von Kreuzenstein zusammenstellte, wurden vorwiegend aus dem
Friaul und dem Veneto rekrutiert.280 〚 34 〛 Die wohl von Wilczek
selbst fotografierten Porträts der Bildhauer Milani und Spiera
〚 35, 36 〛 belegen das besondere Naheverhältnis des Bauherrn zu
seiner Bauhütte. Zahllose phantasievolle bauplastische Details
an Kapitellen, Konsolen, Schlusssteinen und Portalen zeugen
ebenso wie die präzise aufeinander abgestimmten Arbeiten von
Zimmermann, Tischler, Kunstschmied, Holzschnitzer und ande
ren Gewerken vom hohen Niveau der Bauhütte.281 Sitte fand da
für 1898 Worte, die auch als Kritik am allgemeinen Baugesche
hen jener Zeit zu verstehen sind : » Hier gibt es keine sociale Frage,
keine Accordarbeit, keine Schleuder , keine Zwangsarbeit ; hier
wird die Arbeit um ihrer selbst willen gethan, weil es so schön ist,
das alles werden zu sehen, weil es fesselnd ist, so milde geführt
und belehrt, so freundlich belobt zu werden, so angenehm un
tergebracht zu sein. Dieser Umstand verdient und fordert einge
hende Betrachtung, weil er wesentlich zum Gelingen des Wer
kes beiträgt, und auch weil diese Verhältnisse im Gegensatze
zur modernen socialen Zerfahrenheit deutlich zeigen, dass auch
heute noch echtes, frohes, künstlerisches Schaffen möglich ist,
wenn die Sache nur richtig angefasst wird. «282 Er nennt die Ar
beiter eine » Art Künstlergenossenschaft, besser gesagt Gefolgs
chaft, denn sie sind [ … ] die hier am Bau freigewordenen Lehrlinge,
die Schüler des Bauherrn [ … ] ; man sieht hier neben alten echten
Kunstwerken auch ein Stück alten gesunden Kunstlebens, ein
Stück alten Bauhüttenlebens vor sich wiedererstanden. «283
Robert Stiassny meint 1908, Wilczek habe » in den ausfüh
renden Architekten [ … ] vielfach nur Nebenmeister gesehen «
und die Arbeiter und Handwerker » in einer Art familiärer Kunst
schule und Baubruderschaft sich erst herangezogen. « » Daher «,
so Stiassny, » die Abwesenheit aller Schablonenarbeit, das Ge
präge des organisch Gewordenen, allmählich Weitergebildeten,
harmonisch Angealterten, das die einzelnen Bautrakte zwang
los ineinander übergehen lässt. [ … ] Nur einer jahrzehntelan
gen Hingabe an das gotische Bauideal, nur einem starken künst
lerischen und persönlichen Willen konnte eine in allen Teilen
so gleichgewiegte Leistung gelingen «.284 In seinen Memoiren
81Bauherr
und Bauhütte
Kreuzenstein
Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Kreuzenstein
- Subtitle
- Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
- Author
- Andreas Nierhaus
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79557-5
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 258