Page - 104 - in Kreuzenstein - Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
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waren bereits mehrere Interieurs – darunter die Kapelle und die
Waffenhalle sowie mehrere Räume im Bergfried – ausgestattet
und möbliert.332 Der groĂźe Saal im Palas dagegen war noch unÂ
vollendet, als Ludwig Abels 1899 seinen Bericht für die » Wiener
BauindustrieÂ
Zeitung « mit den Worten resümierte : » Seit zwanzig
Jahren wird von einer Schar unermĂĽdlicher KĂĽnstler an diesem in
der Welt einzig dastehenden Bauwerk gearbeitet und noch bedarf
es einer Reihe von Jahren, um den groĂź angelegten Plan durchÂ
zuführen. [ … ] Graf Hans Wilczek [ … ] setzt sich in diesem Werk
[ … ] ein unvergängliches Denkmal, das zugleich den Ruhm unseÂ
res kunstreichen Vaterlandes in weiteste Fernen tragen wird. «333
Zum » authentischen « Erscheinungsbild der Burg trug ganz
wesentlich das Baumaterial bei. Zwar wurde der GroĂźteil aus
dem Ertrag des tief unten im Burggraben gelegenen Steinbruchs
bestritten, doch setzte Wilczek, wo es ihm möglich war, historiÂ
sches Material ein : » Auf der Donau schwammen nach KorneuÂ
burg mächtige Durchzugsbalken und schwere Eichenpfosten,
da nur mindestens dreihundertjähriges Holz eingebaut werden
sollte, und aus der Schweiz und aus Tirol kamen Waggonladungen
alter Dachziegel [ … ], gotische Zimmerdecken und WandverschaÂ
lungen. «334 Wenn auch die Gerüstkonstruktionen aus massiven
Holzbalken, wie sie auf zeitgenössischen Fotografien zu sehen
sind, den Eindruck erwecken, der Wiederaufbau der Burg sei ganz
ohne moderne technische Hilfsmittel vonstatten gegangen, beÂ
weist die statische Konstruktion der Bibliothek das Gegenteil : Da
die für diesen Raum vorgesehenen spätgotischen Kapitelle dem
Gewicht der Wölbung nicht standgehalten hätten, wurde das
Gewölbe kurzerhand an Eisenschienen aufgehängt, die AnwölbÂ
linge mit Stahlplatten gefestigt.335 〚 52, 53 〛 Deutlich erkennbar
ist, dass auch der – später mit Ziegelsteinen ausgelegte – Boden
eine von der Firma Ignaz Gridl gelieferte Unterkonstruktion aus
Stahlträgern besitzt und die Mauern zum Teil aus industriell vorÂ
gefertigten Ziegeln errichtet wurden.
Bis zum Jahr 1900 wurde der Gadem errichtet, den man im
selben Jahr durch den Spitzbogen des Kaschauer Domgangs mit
dem Hauptstiegenhaus und dem Palas verband. 〚55 〛 Im SeptemÂ
ber 1901 besuchte der deutsche Burgenspezialist Bodo Ebhardt im
Rahmen einer Studienreise im Auftrag Kaiser Wilhelms II. KreuÂ
zenstein : » Dienstag : [ … ] Einladung des Grafen Wilczek, KreuÂ
zenstein und die dortigen berĂĽhmten Sammlungen in seiner
Abwesenheit zu sehen. Anregendste FĂĽhrung des Bauleitenden,
des hervorragenden Wiener Architekten Walcher von Molthein
[ … ]. Kreuzenstein wird aus geringen alten Resten wieder hergeÂ
stellt unter Hintansetzung aller etwa bei Chillon, HohkönigsÂ
burg oder der Marienburg befolgten Grundsätze, ohne alle Pläne
104 Eine moderne Burg
Kreuzenstein
Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Kreuzenstein
- Subtitle
- Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
- Author
- Andreas Nierhaus
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79557-5
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 258