Page - 222 - in Kreuzenstein - Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
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Der Bau vereinigte in sich unterschiedliche, mitunter widerÂ
strebende AnsprĂŒche und Interessen : Mit dem Plan, inmitten eiÂ
ner Ruine ein Familienmausoleum zu errichten, war hier anfĂ€ngÂ
lich noch ein starker Rest traditioneller aristokratischer Memoria,
wie sie in der FrĂŒhen Neuzeit ausgeprĂ€gt wurde, ausschlaggebend
fĂŒr den Beginn der Arbeiten. In der Romantik wiederum wurzelt
das ehrgeizige, kostspielige und aberwitzige Projekt, sukzessive
weitere Teile der Burg und schlieĂlich die gesamte Anlage wieÂ
deraufzubauen. Was um 1800 aber meist nur imaginativ und liÂ
terarisch verwirklicht worden war, sollte nun gebaute RealitÀt,
spielerischer Ernst werden. Die zur VerfĂŒgung stehenden techÂ
nischen und finanziellen Mittel lieĂen dies ebenso möglich erÂ
scheinen, wie das Vertrauen in das historische Wissen, durch das
man sich insbesondere gegenĂŒber den Romantikern und ihren
vergleichsweise zaghaft und unbeholfen erscheinenden WiederÂ
herstellungsversuchen entschieden im Vorteil wĂ€hnte. Die BurÂ
genrekonstruktionen des spÀten 19. Jahrhunderts sind damit auch
Ausdruck der Sicherheit und des Selbstbewusstseins, mit der die
Zeitgenossen von einer wissenschaftlich fundierten Warte zuÂ
rĂŒck in die Vergangenheit blicken zu können glaubten. In KreuÂ
zenstein trat mit dem Sammler Wilczek auĂerdem auch noch ein
genuiner Typus des 19. Jahrhunderts auf den Plan, der sich allerÂ
dings durch die Ăffentlichkeit, der er seine SchĂ€tze aussetzte, und
den erzieherischen Dienst, in den er sie stelle, von den meisten
anderen, eben den typischen Vertretern seiner Art unterschied.
Die PrĂ€sentation, die er als Connaisseur aus seinen SammlunÂ
gen zusammenstellte, sollte nicht distanziert und lehrbucharÂ
tig, sondern sinnlich unmittelbar an das Mittelalter heranfĂŒhren
und durfte daher in nichts an ein zeitgenössisches Museum erinÂ
nern. Durch ihr Arrangement zu fiktiven WohnrÀumen innerhalb
eines logischen rÀumlichen Gesamtzusammenhangs wurden die
Objekte gleichsam in einen historischen funktionalen Kontext
zurĂŒckgefĂŒhrt, wodurch der historische, kulturgeschichtliche
Gebrauchscharakter der Dinge gegenĂŒber ihrem formalen und
Ă€sthetischen Eigenwert in den Vordergrund rĂŒckte. In der ihm
vorbehaltenen, mit besonderen Objekten ausgestatteten HerrenÂ
stube sowie weiteren RÀumen, in denen die Sammlungen stÀrker
systematisch, aber stets unter Wahrung des » authentisch «Â
hisÂ
torischen Gesamtbildes aufbewahrt wurden, konnte sich der
Sammler, unterstĂŒtzt durch wissenschaftliches Personal, der
Pflege, Bearbeitung, Erforschung und Erweiterung seiner SammÂ
lungen widmen. In gewisser Weise jedoch war dieser Bauherr und
Sammler in Kreuzenstein, wo nichts an die auĂerhalb der Mauern
liegende Gegenwart erinnert und mit Kaiser Maximilian I. der eiÂ
gentliche Burgherr zugleich unsichtbar und doch stÀndig prÀsent
222 Zusammenfassung
Kreuzenstein
Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Kreuzenstein
- Subtitle
- Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
- Author
- Andreas Nierhaus
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79557-5
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 258