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Einsamer Abschied vor aller Welt
Paulina Epischin
Die Corona-Pandemie hat das Thema der Endlichkeit des Lebens plötzlich in
den Mittelpunkt gerückt. Obwohl der Tod unumgänglich ist, wird das
Sterben in unserer Gesellscha# o# in den Hintergrund gedrängt. Jetzt aber
lässt sich der Tod nicht mehr leicht vergessen. Wegen seiner hohen Gefahr
fĂĽr den menschlichen Organismus und des Ansteckungsrisikos bestimmt das
neue Virus die Art, wie man nun stirbt. An vielen Orten können sich die
Sterbenden nicht mehr persönlich von ihren Familienangehörigen verab-
schieden. Wegen der Infektionsgefahr werden die Kranken isoliert. Men-
schen sterben alleine im Krankenhaus, ohne dass jemand ihre Hand halten
kann. Manchmal wird die persönliche, intime Beziehung durch elektroni-
sche Medien ersetzt. Mit Tablets, Laptops oder anderen elektronischen
Mitteln werden die Sterbenden von ihren Angehörigen und Freunden in den
Tod begleitet.
Die Online-Ausgabe von The Wall Street Journal widmete diesem Thema
am 10. April 2020 den Beitrag I’m Sorry I Can’t Kiss You – Coronavirus Vic-
tims Are Dying Alone. Darin beschreiben Jennifer Levitz und Paul Berger
die Geschichte von zwei Familien, die einen Angehörigen an das Virus ver-
loren haben. Illustriert wird der Artikel mit Dying Alone From Corona-
virus: A Family’s Last Goodbye (Denise Blostein/Maya Tippett, US 2020,
5’ 53’’), einem Video, das eine amerikanische Großfamilie als Hommage
an die verstorbene Mutter und GroĂźmutter produziert hat.
Allein sterben
Das Video berichtet über die letzten Tage von Keiko Neutz, einer 87-jähri-
gen US-amerikanischen Frau, die am 30. März 2020 an den Folgen von
Covid-19 im Krankenhaus verstarb. Keiko steht im Mittelpunkt einer
GroĂźfamilie. Als Mutter von acht Kindern und GroĂźmutter von 28 Enkel-
kindern war sie nie allein. Die Familienangehörigen lebten alle in unmit-
telbarer Nähe zu ihr. Erst die durch Corona bedingte Erkrankung brachte
sie ins Spital, und plötzlich lag sie hier ganz allein und erschöp# im Bett.
Die Kontakte zur GroĂźfamilie wurden wegen der Ansteckungsgefahr un-
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https://doi.org/10.5771/9783748922216, am 10.02.2021, 12:13:48
Open Access - - https://www.nomos-elibrary.de/agb
Religion, Medien und die Corona-Pandemie
Paradoxien einer Krise
- Title
- Religion, Medien und die Corona-Pandemie
- Subtitle
- Paradoxien einer Krise
- Author
- Daria Pezzoli-Olgiati
- Editor
- Anna-Katharina Höpflinger
- Publisher
- Nomos Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-7489-2221-6
- Size
- 15.3 x 22.7 cm
- Pages
- 134
- Categories
- Coronavirus
- Medien
Table of contents
- EinfĂĽhrung 7
- Fahren auf Sicht im Nebel des notwendig Undeutlichen 11
- Wenn jetzt alles anders ist, wie ist es denn immer gewesen? 13
- «Wir sitzen zu Hause und draußen geht die Welt unter» 17
- Gemeinscha!en in Isolation 23
- Leere Tempel, volle Livestreams in China 27
- Digitale Au!ĂĽhrungen des Ausnahmezustands 35
- Ambivalente Deutungen des Virus in Facebook-Communities 41
- Krise und Solidarität im öffentlichen Raum 49
- Solidarität zwischen Kirche und Suppenküche 51
- Leid und Hoffnung einer Nation im Grati 59
- Unterhaltung in der Pandemie 67
- Lieder zwischen Krisenbewältigung und Entertainment 69
- Witz und Religionskritik in Internet-Memes 77
- Der Tod als mediale Inszenierung 85
- Einsamer Abschied vor aller Welt 87
- Das Virus ist unsichtbar, der Tod ganz konkret 93
- Wirklichkeitsdeutung zwischen Fakten und Fake News 101
- Erlösung durch Kapitalismus 103
- Die Verschwörung(en) hinter der Pandemie 111
- Ausblicke ins Ungewisse 119
- Die Pandemie als Ritual – ein Gedankenspiel 121
- Prophetische Metaphern der postpandemischen Zeit 127
- Abbildungsverzeichnis 133