Page - 119 - in Religion, Medien und die Corona-Pandemie - Paradoxien einer Krise
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Ausblicke ins Ungewisse
Nicht nur das Außeralltägliche der Pandemie sorgt für Unbehagen. Die
Ungewissheit darüber, wie eine Gesellscha#, ein Miteinander, ein Leben
nach Corona aussehen mögen, kann mindestens ebenso beklemmend sein.
Von den Versprechungen einer gerechteren und lebenswerteren Welt bis
zu altbekannten und neuen Dystopien scheint für viele nur eines gewiss:
Veränderung steht an, ja, sie muss geradezu anstehen, um dem eigenen
Kontrollverlust und dem Ausgeliefertsein gegenüber der unsichtbaren Be-
drohung des Virus einen Sinn abgewinnen zu können.
Ohne diese Aussicht wäre die Krise der neue Standard. Die einzige Ge-
wissheit bestünde darin, nicht zu wissen, wie es weiter geht. Wenn alles
aber wieder so werden würde, wie es zuvor war, blieben die erfahrende
Angst und der Tod von vielen ohne jede nachhaltige Bedeutung. Nur das
Bewusstsein um die Verwundbarkeit dieser vermeintlichen Normalität
würde erhalten bleiben. Erst die Perspektive, dass diese Orientierungslosig-
keit nur ein Intermezzo, eine notwendige Phase der Neuausrichtung im
Übergang zu etwas Neuem ist, macht die eigene Ohnmacht erträglich.
Egal, wie ein Danach aussieht – die Pandemie ist ein Wendepunkt, hin
zum Ersehnten oder zum Gefürchteten. Die Erwartung einer Veränderung
verstärkt sich und damit gewinnen die medialen Stimmen ein Gewicht,
die Bilder einer postpandemischen Weltordnung anbieten. Mit der Ver-
breitung dieser Szenarien, die o# geradezu prophetische Worte und Meta-
phern einsetzen, scheint die Gewissheit zu wachsen, dass die neue Welt
doch schon zum Greifen nah ist.
Auf dieser Schwelle zwischen dem Blick auf das Vorherige und der Er-
wartung einer besseren Zeit werden Szenarien der sogenannten «neu-
en» Normalität entworfen. Dabei fallen viele Ähnlichkeiten zu Ritualen,
Narrationen und Metaphern auf, die in religiösen Traditionen vorkom-
men.
Die letzten beiden Beiträge in diesem Buch richten den Blick auf das
Wechselspiel von Orientierung in einer chaotisch erscheinenden Situation
und dem Aufgreifen religiöser Motive. Während der erste Beitrag auf die
Krise als eine Übergangszeit mit einem o!enen Ausgang fokussiert, legt
der abschließende Artikel die kreative Rolle der Sprache im Entwurf einer
möglichen Zukun# o!en.
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https://doi.org/10.5771/9783748922216, am 10.02.2021, 12:13:48
Open Access - - https://www.nomos-elibrary.de/agb
Religion, Medien und die Corona-Pandemie
Paradoxien einer Krise
- Title
- Religion, Medien und die Corona-Pandemie
- Subtitle
- Paradoxien einer Krise
- Author
- Daria Pezzoli-Olgiati
- Editor
- Anna-Katharina Höpflinger
- Publisher
- Nomos Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-7489-2221-6
- Size
- 15.3 x 22.7 cm
- Pages
- 134
- Categories
- Coronavirus
- Medien
Table of contents
- Einführung 7
- Fahren auf Sicht im Nebel des notwendig Undeutlichen 11
- Wenn jetzt alles anders ist, wie ist es denn immer gewesen? 13
- «Wir sitzen zu Hause und draußen geht die Welt unter» 17
- Gemeinscha!en in Isolation 23
- Leere Tempel, volle Livestreams in China 27
- Digitale Au!ührungen des Ausnahmezustands 35
- Ambivalente Deutungen des Virus in Facebook-Communities 41
- Krise und Solidarität im öffentlichen Raum 49
- Solidarität zwischen Kirche und Suppenküche 51
- Leid und Hoffnung einer Nation im Grati 59
- Unterhaltung in der Pandemie 67
- Lieder zwischen Krisenbewältigung und Entertainment 69
- Witz und Religionskritik in Internet-Memes 77
- Der Tod als mediale Inszenierung 85
- Einsamer Abschied vor aller Welt 87
- Das Virus ist unsichtbar, der Tod ganz konkret 93
- Wirklichkeitsdeutung zwischen Fakten und Fake News 101
- Erlösung durch Kapitalismus 103
- Die Verschwörung(en) hinter der Pandemie 111
- Ausblicke ins Ungewisse 119
- Die Pandemie als Ritual – ein Gedankenspiel 121
- Prophetische Metaphern der postpandemischen Zeit 127
- Abbildungsverzeichnis 133