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schweren, langsamen Schritten am Abend durch die Straßen. Ihre Frauen
warteten. Die Männer kamen nicht heim. Kalt war der Herd. Kein Essen war
bereitet. Was sollten sie zu Hause? Sie gingen in die Schenken. Es reichte für
Schnaps. Betrunkene fühlen keinen Hunger. Betrunkene torkelten, schleiften
ihre Füße über den Asphalt. Straßen waren abgesperrt. Polizeihelme starrten.
Über zerschmetterten Schaufenstern hingen Rolladen wie eiserne Sargdeckel.
Verhaltene Schüsse erwarteten ihre blutige Stunde.
Ein Geheimbefehl erreichte Theodor: Eifer verdreifachen. Es fuhr in
Theodor wie ein Trompetenstoß. Seine Zeit brach an. Er war bereit. Er rüstete
sich für den Tag. Heute und morgen konnte es sein.
Er berief seine Garde. Die Jungen kamen. Sie brachten neue Kameraden
aus dem Bismarck-Bund mit. Sie brachten Pistolen zum Einschießen.
Theodor ging zum Waffenmeister. Alle Gewehre wurden geputzt. Alte
Bajonette strahlten. Die Jungen blieben einen Tag in der Kaserne. Wie
berauschte sie der Rost der alten Waffen! Und wie blendete sie der Glanz der
neuen! Konnten sie’s wissen? Dieses und jenes Gewehr hatte alle Kriege
mitgemacht. Feinde getötet. Eine große Kraft ging von einem Gewehrkolben
aus. Zauberhaft wirkte der Griff eines Säbels. Von welch tapferem Reiter war
er geschwungen worden? Blind war der Stahl… Von Blut! sagten sie.
Rostflecke waren Blutflecke. Blut des Feindes klebte an den Waffen.
Am Sonntag kam der General.
Am Sonntag rückte das Regiment aus, mit klingendem Spiel. Die
Oktobersonne strahlte wie im Frühling. Bürger winkten aus den Fenstern.
Fahnen wehten. Kinder liefen mit. Es war wie im Frieden. Mancher vergaß
seine Armut.
Vor dem General standen sie. Der alte Divisionspfarrer sprach. Ludendorffs
Helmspitze schwamm im Sonnenglanz. Ein leises Ordenklirren kam von den
Offizieren wie silberne dünne Musik. Sporen läuteten wie Glöckchen. Wie
eine Schicht schwerer Feierlichkeit lag der Atem der Mannschaft in der Luft.
Man hörte leise Stimmen der Offiziere von der Mitte des Platzes her. Ein
kurzes starkes Lachen des Generals. Es klang wie ein Gurgeln.
Drei Sätze sprach der General, rechts neben der Gedenktafel. Er sprach
harte Worte. Die Hände hielt er über dem Säbelknauf. Man hätte ihn für eine
Statue halten können, eine bekleidete Statue.
Dann stieg er herunter, das Monokel klemmte er ein, wenn er mit
jemandem sprach. Er sprach mit Theodor. Einmal habe ich ihm einen Brief
geschrieben, denkt Theodor. Wie lange war es her! Wie jung war Theodor vor
einem halben Jahre noch! Heute kennt ihn Ludendorff.
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Das Spinnennetz
- Title
- Das Spinnennetz
- Author
- Joseph Roth
- Date
- 1923
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 93
- Keywords
- Roman, Geschichte
- Categories
- Weiteres Belletristik
Table of contents
- Kapitel 1 5
- Kapitel 2 10
- Kapitel 3 14
- Kapitel 4 17
- Kapitel 5 21
- Kapitel 6 24
- Kapitel 7 30
- Kapitel 8 32
- Kapitel 9 36
- Kapitel 10 39
- Kapitel 11 42
- Kapitel 12 44
- Kapitel 13 47
- Kapitel 14 50
- Kapitel 15 52
- Kapitel 16 54
- Kapitel 17 57
- Kapitel 18 59
- Kapitel 19 61
- Kapitel 20 64
- Kapitel 21 67
- Kapitel 22 69
- Kapitel 23 73
- Kapitel 24 76
- Kapitel 25 79
- Kapitel 26 81
- Kapitel 27 83
- Kapitel 28 86
- Kapitel 29 89
- Kapitel 30 92