Page - 93 - in Also sprach Zarathustra
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Und die Nase mir haltend, gieng ich unmuthig durch alles Gestern und
Heute: wahrlich, übel riecht alles Gestern und Heute nach dem schreibenden
Gesindel!
Einem Krüppel gleich, der taub und blind und stumm wurde: also lebte ich
lange, dass ich nicht mit Macht- und Schreib- und Lust-Gesindel lebte.
Mühsam stieg mein Geist Treppen, und vorsichtig; Almosen der Lust
waren sein Labsal; am Stabe schlich dem Blinden das Leben.
Was geschah mir doch? Wie erlöste ich mich vom Ekel? Wer verjüngte
mein Auge? Wie erflog ich die Höhe, wo kein Gesindel mehr am Brunnen
sitzt?
Schuf mein Ekel selber mir Flügel und quellenahnende Kräfte? Wahrlich,
in’s Höchste musste ich fliegen, dass ich den Born der Lust wiederfände!
Oh, ich fand ihn, meine Brüder! Hier im Höchsten quillt mir der Born der
Lust! Und es giebt ein Leben, an dem kein Gesindel mit trinkt!
Fast zu heftig strömst du mir, Quell der Lust! Und oft leerst du den Becher
wieder, dadurch dass du ihn füllen willst!
Und noch muss ich lernen, bescheidener dir zu nahen: allzuheftig strömt dir
noch mein Herz entgegen: –
Mein Herz, auf dem mein Sommer brennt, der kurze, heisse,
schwermüthige, überselige: wie verlangt mein Sommer-Herz nach deiner
Kühle!
Vorbei die zögernde Trübsal meines Frühlings! Vorüber die Bosheit meiner
Schneeflocken im Juni! Sommer wurde ich ganz und Sommer-Mittag!
Ein Sommer im Höchsten mit kalten Quellen und seliger Stille: oh kommt,
meine Freunde, dass die Stille noch seliger werde! Denn diess ist unsre Höhe
und unsre Heimat: zu hoch und steil wohnen wir hier allen Unreinen und
ihrem Durste. Werft nur eure reinen Augen in den Born meiner Lust, ihr
Freunde! Wie sollte er darob trübe werden! Entgegenlachen soll er euch
mit seiner Reinheit.
Auf dem Baume Zukunft bauen wir unser Nest; Adler sollen uns Einsamen
Speise bringen in ihren Schnäbeln!
Wahrlich, keine Speise, an der Unsaubere mitessen dürften! Feuer würden
sie zu fressen wähnen und sich die Mäuler verbrennen!
Wahrlich, keine Heimstätten halten wir hier bereit für Unsaubere! Eishöhle
würde ihren Leibern unser Glück heissen und ihren Geistern!
Und wie starke Winde wollen wir über ihnen leben, Nachbarn den Adlern,
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Also sprach Zarathustra
- Title
- Also sprach Zarathustra
- Author
- Friedrich Wilhelm Nietzsche
- Date
- 1885
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.0 cm
- Pages
- 354
- Category
- Geisteswissenschaften
Table of contents
- Zarathustras Vorrede 2
- Teil 1 - Die Reden Zarathustras 19
- Von den drei Verwandlungen 20
- Von den Lehrstühlen der Tugend 22
- Von den Hinterweltlern 25
- Von den Verächtern des Leibes 28
- Von den Freuden- und Leidenschaften 30
- Vom bleichen Verbrecher 32
- Vom Lesen und Schreiben 34
- Vom Baum am Berge 36
- Von den Predigern des Todes 39
- Vom Krieg und Kriegsvolke 41
- Vom neuen Götzen 43
- Von den Fliegen des Marktes 46
- Von der Keuschheit 49
- Vom Freunde 51
- Von tausend und Einem Ziele 53
- Von der Nächstenliebe 55
- Vom Wege des Schaffenden 57
- Von alten und jungen Weiblein 60
- Vom Biss der Natter 63
- Von Kind und Ehe 65
- Vom freien Tode 67
- Von der schenkenden Tugend 70
- Teil 2 - Also sprach Zarathustra 75
- Das Kind mit dem Spiegel 77
- Auf den glückseligen Inseln 80
- Von den Mitleidigen 83
- Von den Priestern 86
- Von den Tugendhaften 89
- Vom Gesindel 92
- Von den Taranteln 95
- Von den berühmten Weisen 98
- Das Nachtlied 101
- Das Tanzlied 103
- Das Grablied 106
- Von der Selbst-Ueberwindung 109
- Von den Erhabenen 112
- Vom Lande der Bildung 115
- Von der unbefleckten Erkenntniss 118
- Von den Gelehrten 121
- Von den Dichtern 123
- Von grossen Ereignissen 126
- Der Wahrsager 130
- Von der Erlösung 134
- Von der Menschen-Klugheit 139
- Die stillste Stunde 142
- Teil 3 - Also sprach Zarathustra 145
- Der Wanderer 147
- Vom Gesicht und Räthsel 150
- Von der Seligkeit wider Willen 155
- Vor Sonnen-Aufgang 158
- Von der verkleinernden Tugend 161
- Auf dem Oelberge 167
- Vom Vorübergehen 170
- Von den Abtrünnigen 173
- Die Heimkehr 178
- Von den drei Bösen 182
- Vom Geist der Schwere 187
- Von alten und neuen Tafeln 191
- Der Genesende 222
- Von der großen Sehnsucht 228
- Das andere Tanzlied 231
- Die sieben Siegel 236
- Teil 4 - Also sprach Zarathustra 243
- Das Honig-Opfer 245
- Der Notschrei 248
- Gespräch mit den Königen 251
- Der Blutegel 256
- Der Zauberer 259
- Außer Dienst 267
- Der häßlichste Mensch 271
- Der freiwillige Bettler 276
- Der Schatten 280
- Mittags 283
- Die Begrüßung 286
- Das Abendmahl 291
- Vom höheren Menschen 293
- Das Lied der Schwermut 313
- Von der Wissenschaft 319
- Unter Töchtern der Wüste 322
- Die Erweckung 330
- Das Eselsfest 334
- Das trunkne Lied 339
- Das Zeichen 352