Page - 107 - in Also sprach Zarathustra
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nahmt ihr mir: – also rede ich zu euch, meine Feinde!
Mordetet ihr doch meiner Jugend Gesichte und liebste Wunder! Meine
Gespielen nahmt ihr mir, die seligen Geister! Ihrem Gedächtnisse lege ich
diesen Kranz und diesen Fluch nieder.
Diesen Fluch gegen euch, meine Feinde! Machtet ihr doch mein Ewiges
kurz, wie ein Ton zerbricht in kalter Nacht! Kaum als Aufblinken göttlicher
Augen kam es mir nur, – als Augenblick!
Also sprach zur guten Stunde einst meine Reinheit: »göttlich sollen mir alle
Wesen sein.«
Da überfielt ihr mich mit schmutzigen Gespenstern; ach, wohin floh nun
jene gute Stunde!
»Alle Tage sollen mir heilig sein« – so redete einst die Weisheit meiner
Jugend: wahrlich, einer fröhlichen Weisheit Rede!
Aber da stahlt ihr Feinde mir meine Nächte und verkauftet sie zu
schlafloser Qual: ach, wohin floh nun jene fröhliche Weisheit?
Einst begehrte ich nach glücklichen Vogelzeichen: da führtet ihr mir ein
Eulen-Unthier über den Weg, ein widriges. Ach, wohin floh da meine
zärtliche Begierde?
Allem Ekel gelobte ich einst zu entsagen: da verwandeltet ihr meine Nahen
und Nächsten in Eiterbeulen. Ach, wohin floh da mein edelstes Gelöbniss«
Als Blinder gieng ich einst selige Wege: da warft ihr Unflath auf den Weg
des Blinden: und nun ekelte ihn des alten Blinden-Fusssteigs.
Und als ich mein Schwerstes that und meiner Überwindungen Sieg feierte:
da machtet ihr Die, welche mich liebten, schrein, ich thue ihnen am wehesten.
Wahrlich, das war immer euer Thun: ihr vergälltet mir meinen besten
Honig und den Fleiss meiner besten Bienen.
Meiner Mildthätigkeit sandtet ihr immer die frechsten Bettler zu; um mein
Mitleiden drängtet ihr immer die unheilbar Schamlosen. So verwundetet ihr
meine Tugend in ihrem Glauben.
Und legte ich noch mein Heiligstes zum Opfer hin: flugs stellte eure
»Frömmigkeit« ihre fetteren Gaben dazu: also dass im Dampfe eures Fettes
noch mein Heiligstes erstickte.
Und einst wollte ich tanzen, wie nie ich noch tanzte: über alle Himmel weg
wollte ich tanzen. Da überredetet ihr meinen liebsten Sänger.
Und nun stimmte er eine schaurige dumpfe Weise an; ach, er tutete mir, wie
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Also sprach Zarathustra
- Title
- Also sprach Zarathustra
- Author
- Friedrich Wilhelm Nietzsche
- Date
- 1885
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.0 cm
- Pages
- 354
- Category
- Geisteswissenschaften
Table of contents
- Zarathustras Vorrede 2
- Teil 1 - Die Reden Zarathustras 19
- Von den drei Verwandlungen 20
- Von den Lehrstühlen der Tugend 22
- Von den Hinterweltlern 25
- Von den Verächtern des Leibes 28
- Von den Freuden- und Leidenschaften 30
- Vom bleichen Verbrecher 32
- Vom Lesen und Schreiben 34
- Vom Baum am Berge 36
- Von den Predigern des Todes 39
- Vom Krieg und Kriegsvolke 41
- Vom neuen Götzen 43
- Von den Fliegen des Marktes 46
- Von der Keuschheit 49
- Vom Freunde 51
- Von tausend und Einem Ziele 53
- Von der Nächstenliebe 55
- Vom Wege des Schaffenden 57
- Von alten und jungen Weiblein 60
- Vom Biss der Natter 63
- Von Kind und Ehe 65
- Vom freien Tode 67
- Von der schenkenden Tugend 70
- Teil 2 - Also sprach Zarathustra 75
- Das Kind mit dem Spiegel 77
- Auf den glückseligen Inseln 80
- Von den Mitleidigen 83
- Von den Priestern 86
- Von den Tugendhaften 89
- Vom Gesindel 92
- Von den Taranteln 95
- Von den berühmten Weisen 98
- Das Nachtlied 101
- Das Tanzlied 103
- Das Grablied 106
- Von der Selbst-Ueberwindung 109
- Von den Erhabenen 112
- Vom Lande der Bildung 115
- Von der unbefleckten Erkenntniss 118
- Von den Gelehrten 121
- Von den Dichtern 123
- Von grossen Ereignissen 126
- Der Wahrsager 130
- Von der Erlösung 134
- Von der Menschen-Klugheit 139
- Die stillste Stunde 142
- Teil 3 - Also sprach Zarathustra 145
- Der Wanderer 147
- Vom Gesicht und Räthsel 150
- Von der Seligkeit wider Willen 155
- Vor Sonnen-Aufgang 158
- Von der verkleinernden Tugend 161
- Auf dem Oelberge 167
- Vom Vorübergehen 170
- Von den Abtrünnigen 173
- Die Heimkehr 178
- Von den drei Bösen 182
- Vom Geist der Schwere 187
- Von alten und neuen Tafeln 191
- Der Genesende 222
- Von der großen Sehnsucht 228
- Das andere Tanzlied 231
- Die sieben Siegel 236
- Teil 4 - Also sprach Zarathustra 243
- Das Honig-Opfer 245
- Der Notschrei 248
- Gespräch mit den Königen 251
- Der Blutegel 256
- Der Zauberer 259
- Außer Dienst 267
- Der häßlichste Mensch 271
- Der freiwillige Bettler 276
- Der Schatten 280
- Mittags 283
- Die Begrüßung 286
- Das Abendmahl 291
- Vom höheren Menschen 293
- Das Lied der Schwermut 313
- Von der Wissenschaft 319
- Unter Töchtern der Wüste 322
- Die Erweckung 330
- Das Eselsfest 334
- Das trunkne Lied 339
- Das Zeichen 352