Page - 119 - in Also sprach Zarathustra
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Dingen Nichts will: ausser dass ich vor ihnen da liegen darf wie ein Spiegel
mit hundert Augen.« –
Oh, ihr empfindsamen Heuchler, ihr LĂĽsternen! Euch fehlt die Unschuld in
der Begierde: und nun verleumdet ihr drum das Begehren!
Wahrlich, nicht als Schaffende, Zeugende, Werdelustige liebt ihr die Erde!
Wo ist Unschuld? Wo der Wille zur Zeugung ist. Und wer ĂĽber sich hinaus
schaffen will, der hat mir den reinsten Willen.
Wo ist Schönheit? Wo ich mit allem Willen wollen muss; wo ich lieben und
untergehn will, dass ein Bild nicht nur Bild bleibe.
Lieben und Untergehn: das reimt sich seit Ewigkeiten. Wille zur Liebe: das
ist, willig auch sein zum Tode. Also rede ich zu euch Feiglingen!
Aber nun will euer entmanntes Schielen »Beschaulichkeit« heissen! Und
was mit feigen Augen sich tasten lässt, soll »schön« getauft werden! oh, ihr
Beschmutzer edler Namen!
Aber das soll euer Fluch sein, ihr Unbefleckten, ihr Rein-Erkennenden,
dass ihr nie gebären werdet: und wenn ihr auch breit und trächtig am
Horizonte liegt!
Wahrlich, ihr nehmt den Mund voll mit edlen Worten: und wir sollen
glauben, dass euch das Herz ĂĽbergehe, ihr LĂĽgenbolde?
Aber meine Worte sind geringe, verachtete: gerne nehme ich auf, was bei
eurer Mahlzeit unter den Tisch fällt.
Immer noch kann ich mit ihnen – Heuchlern die Wahrheit sagen! ja, meine
Gräten, Muscheln und Stachelblätter sollen – Heuchlern die Nasen kitzeln!
Schlechte Luft ist immer um euch und eure Mahlzeiten: eure lĂĽsternen
Gedanken, eure LĂĽgen und Heimlichkeiten sind ja in der Luft!
Wagt es doch erst, euch selber zu glauben – euch und euren Eingeweiden!
Wer sich selber nicht glaubt, lĂĽgt immer.
Eines Gottes Larve hängtet ihr um vor euch selber, ihr »Reinen«: in eines
Gottes Larve verkroch sich euer greulicher Ringelwurm.
Wahrlich, ihr täuscht, ihr »Beschaulichen«! Auch Zarathustra war einst der
Narr eurer göttlichen Häute; nicht errieth er das Schlangengeringel, mit denen
sie gestopft waren.
Eines Gottes Seele wähnte ich einst spielen zu sehn in euren Spielen, ihr
Rein-Erkennenden! Keine bessere Kunst wähnte ich einst als eure Künste!
Schlangen-Unflath und schlimmen Geruch verhehlte mir die Ferne: und
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Also sprach Zarathustra
- Title
- Also sprach Zarathustra
- Author
- Friedrich Wilhelm Nietzsche
- Date
- 1885
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.0 cm
- Pages
- 354
- Category
- Geisteswissenschaften
Table of contents
- Zarathustras Vorrede 2
- Teil 1 - Die Reden Zarathustras 19
- Von den drei Verwandlungen 20
- Von den LehrstĂĽhlen der Tugend 22
- Von den Hinterweltlern 25
- Von den Verächtern des Leibes 28
- Von den Freuden- und Leidenschaften 30
- Vom bleichen Verbrecher 32
- Vom Lesen und Schreiben 34
- Vom Baum am Berge 36
- Von den Predigern des Todes 39
- Vom Krieg und Kriegsvolke 41
- Vom neuen Götzen 43
- Von den Fliegen des Marktes 46
- Von der Keuschheit 49
- Vom Freunde 51
- Von tausend und Einem Ziele 53
- Von der Nächstenliebe 55
- Vom Wege des Schaffenden 57
- Von alten und jungen Weiblein 60
- Vom Biss der Natter 63
- Von Kind und Ehe 65
- Vom freien Tode 67
- Von der schenkenden Tugend 70
- Teil 2 - Also sprach Zarathustra 75
- Das Kind mit dem Spiegel 77
- Auf den glĂĽckseligen Inseln 80
- Von den Mitleidigen 83
- Von den Priestern 86
- Von den Tugendhaften 89
- Vom Gesindel 92
- Von den Taranteln 95
- Von den berĂĽhmten Weisen 98
- Das Nachtlied 101
- Das Tanzlied 103
- Das Grablied 106
- Von der Selbst-Ueberwindung 109
- Von den Erhabenen 112
- Vom Lande der Bildung 115
- Von der unbefleckten Erkenntniss 118
- Von den Gelehrten 121
- Von den Dichtern 123
- Von grossen Ereignissen 126
- Der Wahrsager 130
- Von der Erlösung 134
- Von der Menschen-Klugheit 139
- Die stillste Stunde 142
- Teil 3 - Also sprach Zarathustra 145
- Der Wanderer 147
- Vom Gesicht und Räthsel 150
- Von der Seligkeit wider Willen 155
- Vor Sonnen-Aufgang 158
- Von der verkleinernden Tugend 161
- Auf dem Oelberge 167
- Vom VorĂĽbergehen 170
- Von den AbtrĂĽnnigen 173
- Die Heimkehr 178
- Von den drei Bösen 182
- Vom Geist der Schwere 187
- Von alten und neuen Tafeln 191
- Der Genesende 222
- Von der groĂźen Sehnsucht 228
- Das andere Tanzlied 231
- Die sieben Siegel 236
- Teil 4 - Also sprach Zarathustra 243
- Das Honig-Opfer 245
- Der Notschrei 248
- Gespräch mit den Königen 251
- Der Blutegel 256
- Der Zauberer 259
- AuĂźer Dienst 267
- Der häßlichste Mensch 271
- Der freiwillige Bettler 276
- Der Schatten 280
- Mittags 283
- Die BegrĂĽĂźung 286
- Das Abendmahl 291
- Vom höheren Menschen 293
- Das Lied der Schwermut 313
- Von der Wissenschaft 319
- Unter Töchtern der Wüste 322
- Die Erweckung 330
- Das Eselsfest 334
- Das trunkne Lied 339
- Das Zeichen 352