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Knorrig und gekrümmt und mit biegsamer Härte soll er mir dann am Meere
dastehn, ein lebendiger Leuchtthurm unbesiegbaren Lebens.
Dort, wo die Stürme hinab in’s Meer stürzen, und des Gebirgs Rüssel
Wasser trinkt, da soll ein jeder einmal seine Tag- und Nachtwachen haben,
zu seiner PrĂĽfung und Erkenntniss.
Erkannt und geprĂĽft soll er werden, darauf, ob er meiner Art und Abkunft
ist, – ob er eines langen Willens Herr sei, schweigsam, auch wenn er redet,
und nachgebend also, dass er im Geben nimmt: –
– dass er einst mein Gefährte werde und ein Mitschaffender und
Mitfeiernder Zarathustra’s –: ein Solcher, der mir meinen Willen auf meine
Tafeln schreibt: zu aller Dinge vollerer Vollendung.
Und um seinetwillen und seines Gleichen muss ich selber mich vollenden:
darum weiche ich jetzt meinem GlĂĽcke aus und biete mich allem UnglĂĽcke an
– zu meiner letzten Prüfung und Erkenntniss.
Und wahrlich, Zeit war’s, dass ich gieng; und des Wanderers Schatten und
die längste Weile und die stillste Stunde – alle redeten mir zu: »es ist höchste
Zeit!«
Der Wind blies mir durch’s Schlüsselloch und sagte »Komm!« Die Thür
sprang mir listig auf und sagte »Geh!«
Aber ich lag angekettet an die Liebe zu meinen Kindern: das Begehren
legte mir diese Schlinge, das Begehren nach Liebe, dass ich meiner Kinder
Beute würde und mich an sie verlöre.
Begehren – das heisst mir schon: mich verloren haben. Ich habe euch,
meine Kinder! In diesem Haben soll Alles Sicherheit und Nichts Begehren
sein.
Aber brĂĽtend lag die Sonne meiner Liebe auf mir, im eignen Safte kochte
Zarathustra, – da flogen Schatten und Zweifel über mich weg.
Nach Frost und Winter gelüstete mich schon: »oh dass Frost und Winter
mich wieder knacken und knirschen machten!« seufzte ich: – da stiegen eisige
Nebel aus mir auf.
Meine Vergangenheit brach ihm Gräber, manch lebendig begrabner
Schmerz wachte auf –: ausgeschlafen hatte er sich nur, versteckt in Leichen-
Gewänder.
Also rief mir Alles in Zeichen zu: »es ist Zeit!« – Aber ich – hörte nicht:
bis endlich mein Abgrund sich rĂĽhrte und mein Gedanke mich biss.
Ach, abgrĂĽndlicher Gedanke, der du mein Gedanke bist! Wann finde ich
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Also sprach Zarathustra
- Title
- Also sprach Zarathustra
- Author
- Friedrich Wilhelm Nietzsche
- Date
- 1885
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.0 cm
- Pages
- 354
- Category
- Geisteswissenschaften
Table of contents
- Zarathustras Vorrede 2
- Teil 1 - Die Reden Zarathustras 19
- Von den drei Verwandlungen 20
- Von den LehrstĂĽhlen der Tugend 22
- Von den Hinterweltlern 25
- Von den Verächtern des Leibes 28
- Von den Freuden- und Leidenschaften 30
- Vom bleichen Verbrecher 32
- Vom Lesen und Schreiben 34
- Vom Baum am Berge 36
- Von den Predigern des Todes 39
- Vom Krieg und Kriegsvolke 41
- Vom neuen Götzen 43
- Von den Fliegen des Marktes 46
- Von der Keuschheit 49
- Vom Freunde 51
- Von tausend und Einem Ziele 53
- Von der Nächstenliebe 55
- Vom Wege des Schaffenden 57
- Von alten und jungen Weiblein 60
- Vom Biss der Natter 63
- Von Kind und Ehe 65
- Vom freien Tode 67
- Von der schenkenden Tugend 70
- Teil 2 - Also sprach Zarathustra 75
- Das Kind mit dem Spiegel 77
- Auf den glĂĽckseligen Inseln 80
- Von den Mitleidigen 83
- Von den Priestern 86
- Von den Tugendhaften 89
- Vom Gesindel 92
- Von den Taranteln 95
- Von den berĂĽhmten Weisen 98
- Das Nachtlied 101
- Das Tanzlied 103
- Das Grablied 106
- Von der Selbst-Ueberwindung 109
- Von den Erhabenen 112
- Vom Lande der Bildung 115
- Von der unbefleckten Erkenntniss 118
- Von den Gelehrten 121
- Von den Dichtern 123
- Von grossen Ereignissen 126
- Der Wahrsager 130
- Von der Erlösung 134
- Von der Menschen-Klugheit 139
- Die stillste Stunde 142
- Teil 3 - Also sprach Zarathustra 145
- Der Wanderer 147
- Vom Gesicht und Räthsel 150
- Von der Seligkeit wider Willen 155
- Vor Sonnen-Aufgang 158
- Von der verkleinernden Tugend 161
- Auf dem Oelberge 167
- Vom VorĂĽbergehen 170
- Von den AbtrĂĽnnigen 173
- Die Heimkehr 178
- Von den drei Bösen 182
- Vom Geist der Schwere 187
- Von alten und neuen Tafeln 191
- Der Genesende 222
- Von der groĂźen Sehnsucht 228
- Das andere Tanzlied 231
- Die sieben Siegel 236
- Teil 4 - Also sprach Zarathustra 243
- Das Honig-Opfer 245
- Der Notschrei 248
- Gespräch mit den Königen 251
- Der Blutegel 256
- Der Zauberer 259
- AuĂźer Dienst 267
- Der häßlichste Mensch 271
- Der freiwillige Bettler 276
- Der Schatten 280
- Mittags 283
- Die BegrĂĽĂźung 286
- Das Abendmahl 291
- Vom höheren Menschen 293
- Das Lied der Schwermut 313
- Von der Wissenschaft 319
- Unter Töchtern der Wüste 322
- Die Erweckung 330
- Das Eselsfest 334
- Das trunkne Lied 339
- Das Zeichen 352