Page - 272 - in Also sprach Zarathustra
Image of the Page - 272 -
Text of the Page - 272 -
einem Male nieder, wie ein Eichbaum, der lange vielen Holzschlägern
widerstanden hat – schwer, plötzlich, zum Schrecken selber für die, welche
ihn fällen wollten. Aber schon stand er wieder vom Boden auf, und sein
Antlitz wurde hart.
»Ich erkenne dich wohl«, sprach er mit einer erzenen Stimme: »du bist der
Mörder Gottes! Laß mich gehn.
Du ertrugst den nicht, der dich sah – der dich immer und durch und durch
sah, du häßlichster Mensch! Du nahmst Rache an diesem Zeugen!«
Also sprach Zarathustra und wollte davon; aber der Unaussprechliche faĂźte
nach einem Zipfel seines Gewandes und begann von neuem zu gurgeln und
nach Worten zu suchen. »Bleib!« sagte er endlich –
»– bleib! Geh nicht vorüber! Ich erriet, welche Axt dich zu Boden schlug:
Heil dir, o Zarathustra, daĂź du wieder stehst!
Du errietest, ich weiß es gut, wie dem zumute ist, der ihn tötete – dem
Mörder Gottes. Bleib! Setze dich her zu mir, es ist nicht umsonst.
Zu wem wollte ich, wenn nicht zu dir? Bleib, setze dich! Blicke mich aber
nicht an! Ehre also – meine Häßlichkeit!
Sie verfolgen mich: nun bist du meine letzte Zuflucht. Nicht mit ihrem
Hasse, nicht mit ihren Häschern – o solcher Verfolgung würde ich spotten und
stolz und froh sein!
War nicht aller Erfolg bisher bei den Gut-Verfolg ten? Und wer gut
verfolgt, lernt leicht folgen – ist er doch einmal – hinterher! Aber
ihr Mitleid ist’s –
– ihr Mitleid ist’s, vor dem ich flüchte und dir zuflüchte. O Zarathustra,
schĂĽtze mich, du meine letzte Zuflucht, du einziger, der mich erriet:
– du errietest, wie dem zumute ist, welcher ihn tötete. Bleib! Und willst du
gehn, du Ungeduldiger: geh nicht den Weg, den ich kam. Der Weg ist
schlecht.
ZĂĽrnst du mir, daĂź ich zu lange schon rede-radebreche? DaĂź ich schon dir
rate? Aber wisse, ich bin’s, der häßlichste Mensch,
– der auch die größten schwersten Füße hat. Wo ich ging, ist der Weg
schlecht. Ich trete alle Wege tot und zuschanden.
Daß du aber an mir vorübergingst, schweigend; daß du errötetest, ich sah es
wohl: daran erkannte ich dich als Zarathustra.
Jedweder andere hätte mir sein Almosen zugeworfen, sein Mitleiden, mit
Blick und Rede. Aber dazu – bin ich nicht Bettler genug, das errietest du –
back to the
book Also sprach Zarathustra"
Also sprach Zarathustra
- Title
- Also sprach Zarathustra
- Author
- Friedrich Wilhelm Nietzsche
- Date
- 1885
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.0 cm
- Pages
- 354
- Category
- Geisteswissenschaften
Table of contents
- Zarathustras Vorrede 2
- Teil 1 - Die Reden Zarathustras 19
- Von den drei Verwandlungen 20
- Von den LehrstĂĽhlen der Tugend 22
- Von den Hinterweltlern 25
- Von den Verächtern des Leibes 28
- Von den Freuden- und Leidenschaften 30
- Vom bleichen Verbrecher 32
- Vom Lesen und Schreiben 34
- Vom Baum am Berge 36
- Von den Predigern des Todes 39
- Vom Krieg und Kriegsvolke 41
- Vom neuen Götzen 43
- Von den Fliegen des Marktes 46
- Von der Keuschheit 49
- Vom Freunde 51
- Von tausend und Einem Ziele 53
- Von der Nächstenliebe 55
- Vom Wege des Schaffenden 57
- Von alten und jungen Weiblein 60
- Vom Biss der Natter 63
- Von Kind und Ehe 65
- Vom freien Tode 67
- Von der schenkenden Tugend 70
- Teil 2 - Also sprach Zarathustra 75
- Das Kind mit dem Spiegel 77
- Auf den glĂĽckseligen Inseln 80
- Von den Mitleidigen 83
- Von den Priestern 86
- Von den Tugendhaften 89
- Vom Gesindel 92
- Von den Taranteln 95
- Von den berĂĽhmten Weisen 98
- Das Nachtlied 101
- Das Tanzlied 103
- Das Grablied 106
- Von der Selbst-Ueberwindung 109
- Von den Erhabenen 112
- Vom Lande der Bildung 115
- Von der unbefleckten Erkenntniss 118
- Von den Gelehrten 121
- Von den Dichtern 123
- Von grossen Ereignissen 126
- Der Wahrsager 130
- Von der Erlösung 134
- Von der Menschen-Klugheit 139
- Die stillste Stunde 142
- Teil 3 - Also sprach Zarathustra 145
- Der Wanderer 147
- Vom Gesicht und Räthsel 150
- Von der Seligkeit wider Willen 155
- Vor Sonnen-Aufgang 158
- Von der verkleinernden Tugend 161
- Auf dem Oelberge 167
- Vom VorĂĽbergehen 170
- Von den AbtrĂĽnnigen 173
- Die Heimkehr 178
- Von den drei Bösen 182
- Vom Geist der Schwere 187
- Von alten und neuen Tafeln 191
- Der Genesende 222
- Von der groĂźen Sehnsucht 228
- Das andere Tanzlied 231
- Die sieben Siegel 236
- Teil 4 - Also sprach Zarathustra 243
- Das Honig-Opfer 245
- Der Notschrei 248
- Gespräch mit den Königen 251
- Der Blutegel 256
- Der Zauberer 259
- AuĂźer Dienst 267
- Der häßlichste Mensch 271
- Der freiwillige Bettler 276
- Der Schatten 280
- Mittags 283
- Die BegrĂĽĂźung 286
- Das Abendmahl 291
- Vom höheren Menschen 293
- Das Lied der Schwermut 313
- Von der Wissenschaft 319
- Unter Töchtern der Wüste 322
- Die Erweckung 330
- Das Eselsfest 334
- Das trunkne Lied 339
- Das Zeichen 352