Page - 281 - in Also sprach Zarathustra
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unterwegs, aber ohne Ziel, auch ohne Heim: also daĂź mir wahrlich wenig zum
Ewigen Juden fehlt, es sei denn, daĂź ich nicht ewig und auch nicht Jude bin.
Wie? MuĂź ich immerdar unterwegs sein? Von jedem Winde gewirbelt,
unstet, fortgetrieben? O Erde, du wardst mir zu rund!
Auf jeder Oberfläche saß ich schon, gleich müdem Staube schlief ich ein
auf Spiegeln und Fensterscheiben: alles nimmt von mir, nichts gibt, ich werde
dünn – fast gleiche ich einem Schatten.
Dir aber, o Zarathustra, flog und zog ich am längsten nach, und, verbarg ich
mich schon vor dir, so war ich doch dein bester Schatten: wo du nur gesessen
hast, saĂź ich auch.
Mit dir bin ich in fernsten, kältesten Welten umgegangen, einem Gespenste
gleich, das freiwillig über Winterdächer und Schnee läuft.
Mit dir strebte ich in jedes Verbotene, Schlimmste, Fernste: und wenn
irgend etwas an mir Tugend ist, so ist es, daĂź ich vor keinem Verbote Furcht
hatte.
Mit dir zerbrach ich, was je mein Herz verehrte, alle Grenzsteine und
Bilder warf ich um, den gefährlichsten Wünschen lief ich nach – wahrlich,
ĂĽber jedwedes Verbrechen lief ich einmal hinweg.
Mit dir verlernte ich den Glauben an Worte und Werte und groĂźe Namen.
Wenn der Teufel sich häutet, fällt da nicht auch sein Name ab? Der ist
nämlich auch Haut. Der Teufel selber ist vielleicht – Haut.
›Nichts ist wahr, alles ist erlaubt‹: so sprach ich mir zu. In die kältesten
Wasser stĂĽrzte ich mich, mit Kopf und Herzen. Ach, wie oft stand ich darob
nackt als roter Krebs da!
Ach, wohin kam mir alles Gute und alle Scham und aller Glaube an die
Guten! Ach, wohin ist jene verlogne Unschuld, die ich einst besaĂź, die
Unschuld der Guten und ihrer edlen LĂĽgen!
Zu oft, wahrlich, folgte ich der Wahrheit dicht auf dem FuĂźe: da trat sie mir
vor den Kopf. Manchmal meinte ich zu lügen, und siehe! da erst traf ich – die
Wahrheit.
Zu viel klärte sich mir auf: nun geht es mich nichts mehr an. Nichts lebt
mehr, das ich liebe – wie sollte ich noch mich selber lieben?
›Leben, wie ich Lust habe, oder gar nicht leben‹: so will ich’s, so will’s
auch der Heiligste. Aber, wehe! wie habe ich noch – Lust?
Habe ich – noch ein Ziel? Einen Hafen, nach dem mein Segel läuft?
Einen guten Wind? Ach, nur wer weiß, wohin er fährt, weiß auch, welcher
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Also sprach Zarathustra
- Title
- Also sprach Zarathustra
- Author
- Friedrich Wilhelm Nietzsche
- Date
- 1885
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.0 cm
- Pages
- 354
- Category
- Geisteswissenschaften
Table of contents
- Zarathustras Vorrede 2
- Teil 1 - Die Reden Zarathustras 19
- Von den drei Verwandlungen 20
- Von den LehrstĂĽhlen der Tugend 22
- Von den Hinterweltlern 25
- Von den Verächtern des Leibes 28
- Von den Freuden- und Leidenschaften 30
- Vom bleichen Verbrecher 32
- Vom Lesen und Schreiben 34
- Vom Baum am Berge 36
- Von den Predigern des Todes 39
- Vom Krieg und Kriegsvolke 41
- Vom neuen Götzen 43
- Von den Fliegen des Marktes 46
- Von der Keuschheit 49
- Vom Freunde 51
- Von tausend und Einem Ziele 53
- Von der Nächstenliebe 55
- Vom Wege des Schaffenden 57
- Von alten und jungen Weiblein 60
- Vom Biss der Natter 63
- Von Kind und Ehe 65
- Vom freien Tode 67
- Von der schenkenden Tugend 70
- Teil 2 - Also sprach Zarathustra 75
- Das Kind mit dem Spiegel 77
- Auf den glĂĽckseligen Inseln 80
- Von den Mitleidigen 83
- Von den Priestern 86
- Von den Tugendhaften 89
- Vom Gesindel 92
- Von den Taranteln 95
- Von den berĂĽhmten Weisen 98
- Das Nachtlied 101
- Das Tanzlied 103
- Das Grablied 106
- Von der Selbst-Ueberwindung 109
- Von den Erhabenen 112
- Vom Lande der Bildung 115
- Von der unbefleckten Erkenntniss 118
- Von den Gelehrten 121
- Von den Dichtern 123
- Von grossen Ereignissen 126
- Der Wahrsager 130
- Von der Erlösung 134
- Von der Menschen-Klugheit 139
- Die stillste Stunde 142
- Teil 3 - Also sprach Zarathustra 145
- Der Wanderer 147
- Vom Gesicht und Räthsel 150
- Von der Seligkeit wider Willen 155
- Vor Sonnen-Aufgang 158
- Von der verkleinernden Tugend 161
- Auf dem Oelberge 167
- Vom VorĂĽbergehen 170
- Von den AbtrĂĽnnigen 173
- Die Heimkehr 178
- Von den drei Bösen 182
- Vom Geist der Schwere 187
- Von alten und neuen Tafeln 191
- Der Genesende 222
- Von der groĂźen Sehnsucht 228
- Das andere Tanzlied 231
- Die sieben Siegel 236
- Teil 4 - Also sprach Zarathustra 243
- Das Honig-Opfer 245
- Der Notschrei 248
- Gespräch mit den Königen 251
- Der Blutegel 256
- Der Zauberer 259
- AuĂźer Dienst 267
- Der häßlichste Mensch 271
- Der freiwillige Bettler 276
- Der Schatten 280
- Mittags 283
- Die BegrĂĽĂźung 286
- Das Abendmahl 291
- Vom höheren Menschen 293
- Das Lied der Schwermut 313
- Von der Wissenschaft 319
- Unter Töchtern der Wüste 322
- Die Erweckung 330
- Das Eselsfest 334
- Das trunkne Lied 339
- Das Zeichen 352