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4Kapitel
Weshalb war aus dem alten Zipper nichts geworden – wenigstens seiner
Meinung nach nichts geworden? – Weil er den größten Teil der Energie, die
ihm Gott mitgegeben hatte, dazu hatte verwenden müssen, um aus einem
Proletarier ein Bürger zu werden. Denn das ist der Weg der kleinen
Menschen. Als Zipper, der Sohn eines Tischlers, jung war, sollte er auch ein
Tischler werden. Er wurde Lehrling. Er verfertigte Tische aus Eichenholz,
Schränke, Wiegen, Koffer und Särge. Schließlich kam er zu einem großen
Tischler in die Lehre nach Wien.
In der kleinen Stadt ist es, als wäre man von Geburt an für irgendeinen
Beruf, irgendeine Sendung, irgendein Geschäft bestimmt. Der ist
Gemeindepolizist und jener Totengräber. Der ist Uhrmacher, und jener
handelt mit Nahrungsmitteln. Der ist ein reicher Kaufmann und jener ein
armer Glasermeister. Schon der Vater des Reichen war reich, und der
Großvater des Reichen war es auch schon. Die ältesten Menschen der Stadt
können sich nicht erinnern, daß irgendein Vorfahre des Reichen arm gewesen
wäre. Der Sohn eines Tischlers wird niemals ein Totengräber. Der Sohn eines
Delikatessenhändlers wird niemals ein Flurwächter. Zipper, der Sohn eines
Tischlers, wäre ein Tischler geblieben, wenn er nicht in die große Stadt
gekommen wäre.
Er steckte nicht mehr ganz in seinem Beruf. Er ragte mit einem Teil seiner
Strebsamkeit über die Grenzen hinaus, die seinem Leben gezogen waren.
Schließlich lag ihm die Strebsamkeit im Blut. Ein wenig flatterhaft war er
auch. Er arbeitete nicht mehr in einer einfachen Werkstatt mit drei Gesellen,
wie zu Hause, bei seinem Vater, sondern in einer großen Sargfabrik mit
dreihundert Arbeitern, die keine Tischler waren. Jeden Tag wurden genau
siebzig Särge fertiggestellt. Wo viele Menschen leben, sterben auch viele. Es
war ein trauriges Geschäft. Im Anfang dachte Zipper fortwährend an den Tod.
Er aber war dem Leben zugeneigt.
Er wechselte den Beruf, aber er blieb beim Holz. Er kam zu einem
Instrumentenmacher in die Lehre. Er lernte Violinböden herstellen, Stege und
Bodengriffe. Bei dieser Gelegenheit entdeckte er seine musikalische
Begabung. Er gedachte nicht so lange zu warten, bis er eine ganze Geige hätte
verfertigen können. Er hoffte auf ein außergewöhnliches Glück, zumal da er
sich in ein Mädchen verliebt hatte, dessen Eltern, wohlhabende
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Zipper und sein Vater
- Title
- Zipper und sein Vater
- Author
- Joseph Roth
- Date
- 1928
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 112
- Keywords
- Roman, Geschichte, Österreich, Wien
- Categories
- Weiteres Belletristik
Table of contents
- Kapitel 1 5
- Kapitel 2 8
- Kapitel 3 13
- Kapitel 4 18
- Kapitel 5 22
- Kapitel 6 25
- Kapitel 7 28
- Kapitel 8 36
- Kapitel 9 42
- Kapitel 10 45
- Kapitel 11 54
- Kapitel 12 62
- Kapitel 13 68
- Kapitel 14 74
- Kapitel 15 77
- Kapitel 16 83
- Kapitel 17 88
- Kapitel 18 94
- Kapitel 19 97
- Kapitel 20 101
- Kapitel 21 104
- Brief des Autors an Arnold Zipper 110