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Kapitel
In der nächsten Saison gelang es Erna, eine kleine Anstellung an einem
kleinen Theater in Breslau zu bekommen. Sie wußte genau, daß es nicht der
Weg zum Ruhm war, sondern der Kampf gegen die Gefahr, den Willen zu
verlieren. Sie wußte, daß sie Feindschaft, Neid, Bosheit, Entmunterung
erwarteten und niemals ein Trost, niemals ein Wort, das ihr den Glauben
wiedergeben würde, niemals eine Anerkennung, niemals die Liebe eines
Mannes ohne Eigennutz. Deshalb willigte sie ein, daß Zipper sie begleite. Er,
im ersten Jubel, fragte sie, ob sie seine Frau werden wolle.
Sie wollte.
Es war mir damals nicht verständlich. Er wäre ihr bis ans Ende der Welt
gefolgt, ohne ihre Liebe dafür zu verlangen. Es war mir unverständlich, daß
eine Frau wie sie etwas kaufte, was sie umsonst hätte haben können. Später
erkannte ich, daß sie für seine Treue, seine Arbeit, sein Leben und vielleicht
sein Glück – denn er hätte auch glücklich werden können – ihm nicht so viel
gab, wie er nahm. Denn seit Jahrhunderten leben die Männer in dem Wahn –
und Dichter und Romanschriftsteller nähren ihn –, daß eine Frau immer das
Höchste gebe, wenn sie sich gibt. Daher die fassungslose Haltung eines
Mannes von Wert, wenn er entdeckt, daß seine Frau ihn mit einem Wertlosen
betrogen hat. Daher die übertrieben schauderhafte Vorstellung, die man von
dem Verlauf einer Hochzeitsnacht ohne Liebe hegt. Daher die Leichtigkeit
einer »Verführung«. Daher der übertriebene Respekt vor den Casanovas.
Erna schätzte ihren Körper gering – wie viele Frauen. Sie schlief mit einem
Mann, der ihr gleichgültig war, weil ihr dieLiebe gleichgültig war. Es schien
ihr besser, das erste Engagement als eine jung verheiratete Frau anzutreten. Es
war zumindest originell. Es bedeutete etwas, wenn ein Mann ihr folgte, wenn
Eifersucht sie umgab und sie doppelt begehrenswert machte. Sie hatte gar
keine Illusionen. Sie hatte nur Verstand.
Arnold heiratete, und obwohl es eine Trauung vor dem Standesamt war und
ihr keine Feier folgte; trug Frau Zipper doch nach vielen Jahren zum
erstenmal wieder ihr schwarzes Flitterkleid. Ob sie die abgefallenen Flitter
wieder in die roten Gläser schüttete? Ob das blaue Tintenfaß noch da war? Ob
überhaupt die Kommode noch dort stand? – Das waren, ich erinnere mich, die
Fragen, die mich bei Arnolds Trauung beschäftigten. Still und mit einer
Feierlichkeit, die der Einfachheit der Zeremonie nicht entsprach, stand der
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Zipper und sein Vater
- Title
- Zipper und sein Vater
- Author
- Joseph Roth
- Date
- 1928
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 112
- Keywords
- Roman, Geschichte, Österreich, Wien
- Categories
- Weiteres Belletristik
Table of contents
- Kapitel 1 5
- Kapitel 2 8
- Kapitel 3 13
- Kapitel 4 18
- Kapitel 5 22
- Kapitel 6 25
- Kapitel 7 28
- Kapitel 8 36
- Kapitel 9 42
- Kapitel 10 45
- Kapitel 11 54
- Kapitel 12 62
- Kapitel 13 68
- Kapitel 14 74
- Kapitel 15 77
- Kapitel 16 83
- Kapitel 17 88
- Kapitel 18 94
- Kapitel 19 97
- Kapitel 20 101
- Kapitel 21 104
- Brief des Autors an Arnold Zipper 110