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Kapitel
Es war spät in der Nacht, aus den Gärten hörte man das Zirpen der Grillen.
Wir traten aus dem Kaffeehaus. Wir trafen uns dort oft. Man schloß es zu
früh, es gab eine Polizeistunde, die wir haßten. Wir kamen spät einen Mokka
trinken. Es schien uns damals, daß wir einander viel zu sagen hätten und daß
es unmenschlich sei, Kaffeehäuser überhaupt zu schließen. Ich kann es mir
heute, nachdem ich mich längst mit den Polizeistunden abgefunden habe,
noch nicht erklären, weshalb wir damals glaubten, nur im Café könne man
miteinander reden. Vielleicht weil wir gerade aus dem Krieg gekommen
waren. So finster, arm und verzweifelt die Stadt auch aussehen mochte, wir
waren heimgekehrte Städter und fühlten uns in ihr wohl nach den vielen
hundert Abenden und Nächten im Schützengraben, nach den Nächten im
Lehmboden, im Sumpf, nach den Nächten in Dorfhütten, mit der alten
Zeitung in der Hand, nach den Nächten der Angriffe und der Trommelfeuer.
Man warf uns hinaus, man schloß das Kaffeehaus, man stellte die Stühle
übereinander, die Kellner versammelten sich an der Kasse, um abzurechnen.
Da schlichen wir uns fort, heimatlose Hunde.
Es war eine warme Sommernacht. Wir gingen hin und zurück, einer
begleitete den andern, und war man vor der Haustür des einen angelangt, so
fühlte man das Grauen, das oben wartete, im Zimmer, im Bett, im Schlaf, im
Traum. Man kehrte um und ging vor die Tür des andern. Erst als der Morgen
bleich hinter den Häusern stand, trennte man sich in der Mitte der Wege. Man
fühlte jetzt weniger Angst vor diesem Haus, nach dem man sich im Krieg so
gesehnt hatte und in dem man nicht mehr heimisch wurde nach der Rückkehr.
Man schlief bei aufgehender Sonne ruhig ein; denn man wollte nicht sehen,
wie ein Tag beginnt.
In so einer Nacht erzählte Arnold, was der Onkel über seine Absichten
gesagt hatte:
»Und wenn ihr mir eine Million dazugeben würdet, Schwägerin und
Bruder, ich nehme euren Sohn nicht. Ich habe Geld, er könnte bei mir leben,
er könnte auf jeden Fall essen. Aber ich nehme ihn nicht. Brasilien ist ein
gefährliches Land. Wer dort etwas werden kann, der ist schon längst
hingegangen, dort ist er ein fertiger Mensch geworden. Aber einen fertigen
Europäer nehme ich nicht auf mein Gewissen. Wenn ich ihm mit einem
Darlehn helfen kann, wenn er sich hier im Lande ansiedeln will, ich will ihm
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Zipper und sein Vater
- Title
- Zipper und sein Vater
- Author
- Joseph Roth
- Date
- 1928
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 112
- Keywords
- Roman, Geschichte, Österreich, Wien
- Categories
- Weiteres Belletristik
Table of contents
- Kapitel 1 5
- Kapitel 2 8
- Kapitel 3 13
- Kapitel 4 18
- Kapitel 5 22
- Kapitel 6 25
- Kapitel 7 28
- Kapitel 8 36
- Kapitel 9 42
- Kapitel 10 45
- Kapitel 11 54
- Kapitel 12 62
- Kapitel 13 68
- Kapitel 14 74
- Kapitel 15 77
- Kapitel 16 83
- Kapitel 17 88
- Kapitel 18 94
- Kapitel 19 97
- Kapitel 20 101
- Kapitel 21 104
- Brief des Autors an Arnold Zipper 110