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Brief des Autors an Arnold Zipper
Lieber Arnold,
vielleicht, ja wahrscheinlich wird Dir dieser mein bescheidener Bericht
über Deines Vaters und über Dein bescheidenes Leben in die Hand kommen.
Es ist möglich, daß Du es aufgegeben hast, noch einmal mit mir in eine
briefliche Verbindung zu gelangen, und daß Du Deine neue Existenz mit dem
wahrscheinlich berechtigten Entschluß begonnen hast, nicht mehr an die
Vergangenheit zu rühren. Dann wäre dieser Brief, den ich Dir eben schreibe,
das einzige Zeichen meiner Freundschaft, das Du nach langer Zeit erhältst,
und ein Zeichen meiner durch den vorliegenden Bericht keineswegs
beendeten oder auch nur geschwächten Freundschaft. Denn ich habe, wie Du
siehst, nachdem Du alles gelesen hast, unsere Freundschaft ebensowenig
erschöpft wie Dein Schicksal. Ja, es schien mir, kaum hatte ich den letzten
Punkt hinter das Geschriebene gesetzt, daß ich nicht zuviel, sondern viel eher
zuwenig von Dir berichtet habe. Der Grund dafür scheint mir eben darin zu
liegen, daß ich zwischen Dir und mir die Distanz nicht sehe, die zwischen
Deinem Vater und mir vorhanden war. Vielleicht auch hatte ich die
einigermaßen berechtigte Angst, ich müßte, wollte ich mehr von Dir
schreiben, auch manches nicht Unwichtige von mir selbst erwähnen – und das
hätte den Rahmen meiner Aufgabe sprengen können. Mit jener Klarheit Dich
zu zeichnen, die allein aus der Distanz kommt, war mir, wie schon gesagt,
nicht möglich. Doch schien mir das Leben Deines Vaters mit dem Deinigen so
notwendig verbunden, daß ich, wollte ich Dich eliminieren, vieles hätte
verschweigen müssen. Und beim Schriftsteller beginnt schon dort, wo er
schweigt, die Lüge.
Dies alles mußte ich Dir direkt sagen, ins Gesicht gewissermaßen, obwohl
immerhin die Gefahr besteht, daß Dich dieser Brief niemals erreichen wird.
Ich fühlte die Notwendigkeit, mich bei Dir zu entschuldigen, nicht, weil ich
Dein Leben zum Gegenstand meines Buches gemacht habe, sondern
umgekehrt: weil ich zuwenig von Dir berichtet haben könnte. Du gehörst zu
jenen Menschen, denen man nicht zu erklären braucht, was den Unterschied
macht zwischen einer Indiskretion und einer exemplarischen Darstellung. Ich
weiß also schon, daß Du, weit entfernt, Dich über dieses Buch zu ärgern, Dich
darüber freuen wirst, in dem Maß, in dem Dir mein Versuch gelungen
erscheinen wird: der Versuch, an zwei Menschen die Verschiedenheiten und
die Ähnlichkeiten zweier Generationen so darzustellen, daß diese Darstellung
nicht mehr als der private Bericht über zwei private Leben gelten kann. Denn
so stark und, man kann sagen, so sonderbar auch die Individualität Deines
Vaters war, seine Erscheinung war noch mehr typisch für die Generation
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Zipper und sein Vater
- Title
- Zipper und sein Vater
- Author
- Joseph Roth
- Date
- 1928
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 112
- Keywords
- Roman, Geschichte, Österreich, Wien
- Categories
- Weiteres Belletristik
Table of contents
- Kapitel 1 5
- Kapitel 2 8
- Kapitel 3 13
- Kapitel 4 18
- Kapitel 5 22
- Kapitel 6 25
- Kapitel 7 28
- Kapitel 8 36
- Kapitel 9 42
- Kapitel 10 45
- Kapitel 11 54
- Kapitel 12 62
- Kapitel 13 68
- Kapitel 14 74
- Kapitel 15 77
- Kapitel 16 83
- Kapitel 17 88
- Kapitel 18 94
- Kapitel 19 97
- Kapitel 20 101
- Kapitel 21 104
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