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Zipper und sein Vater
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11 Kapitel Seitdem Arnold im Finanzamt war, besuchte er das Kaffeehaus eher aus Leidenschaft als aus Gewohnheit. Es gehörte zu seinen Erfüllungen und nicht mehr zu seinen Bedürfnissen. War er schon früher – und besonders, seitdem er aus dem Krieg zurückgekommen war – nicht fähig gewesen, einen Abend allein zu sein, so erfaßte ihn jetzt ein wahres Entsetzen vor der Einsamkeit. Nicht, daß er etwa die Sehnsucht gehabt hätte, in einer Gesellschaft zu leben. Er wollte nur im Kaffeehaus sitzen, nichts anderes als im Kaffeehaus sitzen. Er hatte ein paar Bekannte, vielleicht ein paar Freunde. Es waren Schriftsteller, Maler, Musiker, Bildhauer. Ich kannte keinen genaueren Leser, kein gewissenhafteres Publikum, keinen eifrigeren Theaterbesucher, keinen frömmeren Hörer von Musik als Arnold. Für alle Künste interessierte er sich. Jenen, die sie ausübten, nahe zu sein gehörte zu seinen bescheidenen Freuden. Sicherlich beneidete er sie. Denn sie allein, so schien es ihm, hatten einen Sinn in ihrem Leben gefunden und besaßen ein Recht, dazusein, Geltung zu haben, Ansehen und Macht. Was sie sprachen, schien ihm so wichtig, daß er ihnen nur zuhörte, ohne sich an ihrem Gespräch zu beteiligen. Vielleicht fand er einen Trost darin, daß er ihre Abende teilte, obwohl seine Tage so ganz anders aussahen als die ihrigen. Vielleicht aber auch war er klüger, als ich glaubte, und er tröstete sich, wenn er die Künstler sah, damit, daß auch sie schließlich nicht von anderen Sorgen sprachen als alle Welt. Auch sie hatten kein Geld. Auch sie konnten keine Reisen machen. Auch sie spielten Tarock und Sechsundsechzig und Domino. Auch sie tranken Kaffee und tauchten ihre Kipfel ein. Arnold spielte nicht, aber er sah gerne zu. Er war mit der Zeit manchen Spielern ein unentbehrlicher Kiebitz geworden. Man erholte sich einigermaßen von den Aufregungen des Spiels, wenn man von den Karten aufblickte und Zipper ansah. Die ständige Schwermut seines Angesichts – deren Grund übrigens niemand wußte und wahrscheinlich nur ich allein verstand, weil ich das Haus Zipper kannte, also die Heimat dieser Schwermut –, seine unveränderliche Leidenschaft, den Wechsel von Pech und Glück mitzuerleben, seine aufmerksame Schweigsamkeit, sein genauer Blick, der den Bewegungen und den Händen und den Karten immer folgte, mußte die Spieler ebenso beruhigen und zufriedenstellen wie einen Autor, der sein Werk vorliest, ein gespannter und mitgenommener Zuhörer. Es schmeichelte den Spielern, wenn Zipper ihnen zusah. Es war, als spendete er ihnen stillen 54
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Zipper und sein Vater
Title
Zipper und sein Vater
Author
Joseph Roth
Date
1928
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.7 cm
Pages
112
Keywords
Roman, Geschichte, Österreich, Wien
Categories
Weiteres Belletristik

Table of contents

  1. Kapitel 1 5
  2. Kapitel 2 8
  3. Kapitel 3 13
  4. Kapitel 4 18
  5. Kapitel 5 22
  6. Kapitel 6 25
  7. Kapitel 7 28
  8. Kapitel 8 36
  9. Kapitel 9 42
  10. Kapitel 10 45
  11. Kapitel 11 54
  12. Kapitel 12 62
  13. Kapitel 13 68
  14. Kapitel 14 74
  15. Kapitel 15 77
  16. Kapitel 16 83
  17. Kapitel 17 88
  18. Kapitel 18 94
  19. Kapitel 19 97
  20. Kapitel 20 101
  21. Kapitel 21 104
  22. Brief des Autors an Arnold Zipper 110
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