Seite - 356 - in Ludwig Feuerbach - Gesammlte Werke, Band 1
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Handlung, der moralischen Gesinnung, sondern in ihnen
selbst hegt, sind für sie Undinge. Die Geschichte ist ihnen
nur eine Geschichte von moralisch subjektiven Handlungen
und Umständen, Ereignissen, Verhältnissen. Sein, Wesen,
Geist ist ihnen in der Geschichte nicht Gegenstand. Sie
sehen nur ein Gewimmel endlos sich ineinander verschlän-
gelnder und verstrickender Handlungen, das Sein in der
Gegenwart und Vergangenheit bestimmt sich daher für
sie nur zu einem Sein in der Zukunft und in Beziehung
auf die Moralität der Handlungen zu dem Lande, wo der
Lohn apart für sich existiert, wie im Diesseits dagegen die
Handlung apart für sich existiert. Die äugen- und geistes-
kranken modernen Subjekte bemerken aber auch hier
wieder nicht, daß sie auf diese Weise zum Inhalt sowohl des
Jenseits als des Diesseits nichts machen, daß sie beide
zugleich vernichten. Die aparte Existenz des Lohns hebt
das Wesen des Lohns auf, die aparte Existenz der Handlung
das Wesen der Handlung. Die zukünftigen Belohnungen
ersetzen mir nun und nimmermehr die gegenwärtigen
Leiden und Schmerzen; einen Lohn, der hintendrein nach-
kutschiert, der mir zuteil wird, wenn die Leiden vorbei
sind, wenn ich nicht mehr das Bedürfnis und folglich auch
die Empfindung des Lohns habe, einen von dem Leben
der Handlung abgetrennten, separaten Lohn kann man
nicht mehr als Lohn anerkennen. So nichtig und eitel
aber ein separater Lohn ist, so eitel und nichtig ist eine
Handlung, die apart und separiert von ihrem Wesen exi-
stiert, denn der wahre Lohn einer Handlung ist ihr Wesen
selber.1
Der wahre Glaube an die Unsterblichkeit ist der Glaube
an den Geist selbst, an das Bewußtsein, an ihre absolute
Wesenhaftigkeit und unendliche Realität. Inwiefern der
Geist selbst das Prinzip der Geschichte ist, im Geiste, im
Bewußtsein Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft auf-
gehoben und identisch sind, so ist der wahre Glaube an die
Unsterblichkeit ein Glaube an die Realität der Vergangen-
heit, die Realität der Zukunft und Gegenwart (sie nicht in
ihrer Isoliertheit, sondern in ihrem Wesen, in ihrem we-
1 In A folgt Leerzeile vor. dem nächsten Absatz.
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Ludwig Feuerbach
Gesammlte Werke, Band 1
(Gemeinfreie Teile)
- Titel
- Ludwig Feuerbach
- Untertitel
- Gesammlte Werke
- Band
- 1
- Herausgeber
- Werner Schuffenhauer
- Verlag
- AKADEMIE-VERLAG BERLIN
- Datum
- 1981
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 11.6 x 17.8 cm
- Seiten
- 468
- Kategorie
- Geisteswissenschaften