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gibt er, denn er macht das, dessen Zweck er ist, zu dem,
was es ist, er bej aht; ohne Zweck kein Individuum, ohne
Grenze kein Zweck und kein Tod; der Tod also, als Offen-
barung des Zwecks,1 Bejahung und Verneinung in einem.
Der Zweck des Individuums, in Wahrheit seine Individuali-
tät selbst, ist daher auch mit der Verneinung seines Da-
seins nicht aufgehoben und abgebrochen, sondern setzt
sich ununterbrochen fort. Selbst der Zweck des Indivi-
duums, wie er Zweck seines Daseins ist, hat seine ununter-
brochne Fortsetzung in dem Dasein eines neuen Individu-
ums, dessen Bestimmung derselbe Zweck ist.
Wenn nun also das Unendliche bejaht, indem es ver-
neint, in seiner aufhebenden Einheit zugleich Dasein und
Bestehen gebender Unterschied ist, was heißt dies anders,
wenn du den Satz umkehrst, als: Die Schranke ist im
Unendlichen selbst Sein, die Individualität Realität, die
Bestimmtheit, das Dasein selbst Wesen, das Leben selbst
Unsterblichkeit, die Zeit Ewigkeit, ein Augenblick Un-
endlichkeit, ein Punkt Unermeßhchkeit? Mögest du mir wie-
der, Liebe, die Geheimnisse und Rätsel des Wesens lösen!
Indem meine Seele Liebe wird, so sammelt und zieht sie
sich auf einen Punkt zusammen, bestimmt und beschränkt
sie sich; erst in dieser Sammlung und Zusammenziehung
der Liebe bekommt meine Seele Qualität und Beschaffen-
heit ; aber ist nicht diese Bedrängnis, diese Beklommenheit
der Seele in der Schranke und Beschaffenheit der Liebe
zugleich höchster Genuß, Seligkeit, Freiheit? Schließt
etwa das reine Sein die Schranke und Bestimmtheit
aus? Ist nicht diese Schranke der Liebe Unendlichkeit
selbst, reines Sein? Was ist höchster, reiner Genuß anders
als das reine Sein selbst, wie es Gegenstand der Empfin-
dung ist, wie es existiert in der Empfindung; die Liebe
aber ist höchster Genuß, und doch ist sie eine Determina-
tion, eine Qualität der Seele; schließt also das reine Sein
die Schranke oder die Schranke das reine Sein aus? Die
Liebe ist der Sinn für die Unendlichkeit, sie ist nicht
eine Empfindung von Bestimmten und Beschränkten, dann
wäre sie selbst, was sie nicht ist, eine bestimmte und be-
schränkte Empfindung, sie ist die Empfindung vom Wesen2;
1 ist Zusatz H 2 sie ist . . . Wesen unter strichen H
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Ludwig Feuerbach
Gesammlte Werke, Band 1
(Gemeinfreie Teile)
- Titel
- Ludwig Feuerbach
- Untertitel
- Gesammlte Werke
- Band
- 1
- Herausgeber
- Werner Schuffenhauer
- Verlag
- AKADEMIE-VERLAG BERLIN
- Datum
- 1981
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 11.6 x 17.8 cm
- Seiten
- 468
- Kategorie
- Geisteswissenschaften