Seite - 541 - in Ludwig Feuerbach - Gesammlte Werke, Band 1
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der Wirkung und Überzeugungskraft eines Blickes, eines
Lippen- oder Händedrucks gegenüberstellt und aus dem
Gewicht dieses materiellen Druckes die Unzulänglichkeit
oder gar die Kraft- und Seelenlosigkeit des idealen Wortes
beweisen will? Erkennt jedes Wesen in seiner Wirkungs-
sphäre, und ihr werdet nicht mehr seine Vorzüge für Mängel
halten. Wo nicht Geist dem Geiste, sondern Person der
Person gegenübersteht, da sind natürlich auch nur per-
sönliche Mittel der Mitteilung die sach- und zeitgemäßen,
folglich von Wirkung, da gilt es, sich zum unmittelbaren
Leibeigenen des andern zu machen, als zuverlässige Hy-
pothese seiner Liebe und Verehrung die ganze Barschaft
seiner Gesinnungen und Empfindungen ihm in die Hände
zu drücken.
Es gibt natürlich eine unzählige Menge von Dingen, die
wir entweder allein oder doch leichter und unendlich besser
durch die sinnliche Anschauung erkennen als durch die
Lektüre. Aber es ist töricht, deswegen das Wesen und den
hohen Wert des Buches zu verkennen. Der Mensch wird
sowohl in der Lektüre als in der Schriftstellerei von einer
Menge unwesentlicher Eindrücke und Affektionen frei, die
bei der sinnlichen Anschauung mit in sein Urteil einfließen
und seine Reinheit trüben; seine Seele wird leidenschafts-
loser, ruhiger und ebendadurch fähiger, eine Sache zu er-
kennen und zu beurteilen, wie sie ist.
Das Leben ist die Frühlingszeit unsrer Gedanken und
Empfindungen; es ist bereits Spätsommer, ja Herbst, wenn
sie auf das Papier kommen. Freilich ist jetzt der Reiz der
Blüte, der reiche Blätterschmuck, das lebhafte Grün dahin,
aber dafür sind sie nun auch zeitig und zu vollendeten
Früchten an dem Lichte der Wahrheit herangereift.
Es ist nun einmal so: Die Erkenntnis wird nur durch den
Verlust der Unschuld des Lebens erkauft. Wenn Adam
einmal die Feder ergreift, so seid gewiß, daß er bereits aus
dem Paradiese des Lebens heraus ist, schon von dem
Baume der Erkenntnis des Guten und Bösen gekostet hat.
Darum trägt auch Mephistopheles eine Feder auf seinem
Kopfe.
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Ludwig Feuerbach
Gesammlte Werke, Band 1
(Gemeinfreie Teile)
- Titel
- Ludwig Feuerbach
- Untertitel
- Gesammlte Werke
- Band
- 1
- Herausgeber
- Werner Schuffenhauer
- Verlag
- AKADEMIE-VERLAG BERLIN
- Datum
- 1981
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 11.6 x 17.8 cm
- Seiten
- 468
- Kategorie
- Geisteswissenschaften