Seite - 554 - in Ludwig Feuerbach - Gesammlte Werke, Band 1
Bild der Seite - 554 -
Text der Seite - 554 -
vielmehr wahrscheinlich nur aus Scham, weil das Mittel,
wie sie die Menschen hervorbringt, gar zu einfach ist und
wir daher, wenn wir ihr in die Karten sähen, nur darüber
vor Verwunderung lachen würden, daß wir nicht auch schon
längst auf den nämlichen Einfall gekommen sind.
Die Welt ist eine Stadt. Der Raum ist der Herr Bürger-
meister, die Zeit die Frau Bürgermeisterin, die übrigens,
obgleich weiblichen Geschlechts, mehr Einfluß auf die
Stadtbegebenheiten ausübt als ihr Herr Gemahl; die
untergeordneten, obwohl höchst einträglichen und ge-
wichtigen Stadtämter haben die fünf Sinne in Händen.
Das Leben ist ein eingebornes Stadtkind, das, abgesehen
von seinen weitläufigen Connaissancen und Verwandt-
schaften mit dem sämtlichen hochlöblichen Stadt-Beam-
tenpersonale, schon wegen seiner kriechenden Untertänig-
keit leicht und glückhch durch die Welt kommt und ohne
alle Schwierigkeit das Recht der Meisterschaft erhält.
Das Buch ist ein Fremder, der weither aus fernen Ländern
kam, lediglich in der großartigen Absicht, das kleinhche
Spießbürgertum zu zerstören, den bornierten Gesichts-
kreis der Stadtphilister zu erweitern, und, ohne sich dem
hochlöblichen Stadtmagistrate zu akkomodieren, nur sich
und seinem Genie lebt. Natürlich stellen sich seinem
Etablissement die größten Schwierigkeiten entgegen, und
hat er sich auch endlich etabliert, so finden doch nie
seine Waren solchen allgemeinen Beifall und Absatz wie
die seines Rivalen,'des Stadtkindes. Hiezu kommt, daß das
Leben ein Buchhändler ist, der, seinen Profit im Auge,
nur das in Verlag nimmt, was eben gerade jetzt auf dem
Tapete ist, und nur mit Burschenliedern, Modejournalen,
politischen Zeitungen und dergleichen Dingen handelt, das
Buch dagegen ein Antiquar, der nur die seltensten Schätze
der Vergangenheit hat, die bloß bei Liebhabern, d. i. Ken-
nern, Abgang finden.
Wie die Flüsse zu Grenzlinien der Länder dienen, zu-
gleich aber die Kommunikation derselben untereinander
befördern, so ist es auch mit den Literaturen der Völker.
Sie unterscheiden die Völker voneinander, erheben und
beleben ihr besonderes Nationalbewußtsein. Aber zugleich
554
Ludwig Feuerbach
Gesammlte Werke, Band 1
(Gemeinfreie Teile)
- Titel
- Ludwig Feuerbach
- Untertitel
- Gesammlte Werke
- Band
- 1
- Herausgeber
- Werner Schuffenhauer
- Verlag
- AKADEMIE-VERLAG BERLIN
- Datum
- 1981
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 11.6 x 17.8 cm
- Seiten
- 468
- Kategorie
- Geisteswissenschaften