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Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938 - Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
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Seite - 42 - in Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938 - Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus

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Albert Lichtblau Der Erste Weltkrieg produzierte ein neues soziales Problem, denn viele galizische und bukowinische Juden und Jüdinnen flüchteten vor den als antijüdisch bekannten russischen Truppen ins Landesinnere. Die im Westen liegenden jüdischen Gemeinden waren vom Flüchtlingszustrom überfordert. Das anfängliche Mitleid mit den ersten Opfern des Krieges unter der Zivilbevölkerung kippte sehr rasch um in xenophoben Unmut gegenüber einer Flüchtlingsbevölkerung, die auf Unterstützung angewiesen war. Mit der Bevölkerungsverschiebung der jüdischen Flüchtlinge waren innerhalb kurzer Zeit viele Menschen in die westlichen Regionen der Monarchie gekommen, die von ihrer Kleidung, ihrer Haar- und Barttracht und ihrem Habitus – Armut spielte dabei ebenfalls eine Rolle – als „ostjüdisch“ und damit als eindeutig „fremd“ identifizierbar waren. Nachdem während des Weltkrieges die Zensur gelockert wor- den war, konzentrierten sich die antisemitischen Medien auf das neue Angriffsziel : die ostjüdische Bevölkerung. Die Niederlage im Krieg, der Zerfall eines jahrhundertealten Großreichs, die öko- nomischen und politischen Krisen waren große Belastungen für die Bevölkerung. Für jene, die ein personenbezogenes Ventil für die Frustrationen suchten, bot sich „der vertraute Feind“, die jüdische Bevölkerung, ideal an. Sie verkörperte im Guten – der unterstellte innere Zusammenhalt – wie im Bösen – die Machtgier usw. – eine Pro- jektionsfläche. Obwohl sich dies schwer messen lässt, kann analog der Krisentheo- rie, die einen Zusammenhang von gesellschaftspolitischen Krisen und Bereitschaft zu Xenophobie sieht, davon ausgegangen werden, dass die tiefe Verunsicherung und Irritation der Menschen die Bereitschaft erhöhten, über die „Vertrauten Feinde“ zu fantasieren und sie für die Belastungen verantwortlich zu machen. Um dies tun zu können, bedurfte es der 1918 bereits vorhandenen Infrastruktur, die von Politikern, Vereinsfunktionären, Zeitungen, Priestern und Stammtischen immer wieder aktuali- siert und lokal eingebunden wurde. Der Antisemitismus gewann mit dem Kriegsende beängstigend an neuer Schwungkraft, die nur Mitte der 1920er-Jahre für kurze Zeit zu erlahmen schien. Der Erste Weltkrieg war eine Vorstufe zur nächsten Katastrophe. Er führte zu einer Militarisierung der Gesellschaft und zeigte die Möglichkeit von Gewaltlösungen auf. Der Zerfall des Vielvölkerstaates und die Schaffung neuer Nationalstaaten veränder- ten das Muster des mitteleuropäischen Staatsverständnisses nachhaltig, denn damit wurde die Möglichkeit von mononationalen Staaten behauptet. Im Falle Österreichs Beatrix Hoffmann-Holter, „Abreisendmachung“. Jüdische Kriegsflüchtlinge in Wien 1914 bis 1923, Wien, Köln, Weimar 1995. Zum Begriff „familiar strangers“ [vertraute Feinde] vgl. Robert S. Robins, Jerrold M. Post, Political Para- noia. The Psychopolitics of Hatred, New Haven, London 1997, S. 91.
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Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938 Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Titel
Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
Untertitel
Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
Autor
Frank Stern
Herausgeber
Barabara Eichinger
Verlag
Böhlau Verlag
Ort
Wien
Datum
2009
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC-ND 3.0
ISBN
978-3-205-78317-6
Abmessungen
17.0 x 24.0 cm
Seiten
558
Kategorien
Geschichte Historische Aufzeichnungen

Inhaltsverzeichnis

  1. Vorwort XI
  2. Einleitung. Wien und die jüdische Erfahrung 1900–1938 XII
  3. Was nicht im Baedeker steht Juden und andere Österreicher im Wien der Zwischenkriegszeit 1
  4. Jüdische Lebenserinnerungen. Rekonstruktionen von jüdischer Kindheit und Jugend im Wien der Zwischenkriegszeit 17
  5. Antisemitismus 1900–1938. Phasen, Wahrnehmung und Akkulturationseffekte 39
  6. „Hinaus mit den Juden !“ Von Graffiti und der Zeitung bis zur Leinwand 59
  7. Generationenkonflikte. Die zionistische Auswanderung aus Österreich nach Palästina in der Zwischenkriegszeit 71
  8. Die Stimme und Wahrheit der Jüdischen Welt Jüdisches Pressewesen in Wien 1918–1938 99
  9. Die israelitischen Humanitätsvereine B’nai B’rith für Österreich in der Zwischenkriegszeit und ihr Verhältnis zur „jüdischen“ Freimaurerei 115
  10. Tempel, Bethäuser und Rabbiner 131
  11. Die Geschichte der Ausbildung von Rabbinern in Wien seit dem 19. Jahrhundert 143
  12. Martin Bubers Weg zum Chassidismus 155
  13. Die jiddische Kultur im Wien der Zwischenkriegszeit und ihre Positionierungen in Bezug auf Akkulturation, Diasporanationalismus und Zionismus 175
  14. „Wenn Dich drückt der Judenschuh“. Blicke in die moderate Wiener Moderne 197
  15. Karl Kraus and Gustav Mahler Imagine the „Jews“ 217
  16. Antisemitisch-misogyne Repräsentationen und die Krise der Geschlechtsidentität im Fin de Siècle 229
  17. „Being different where being different was definitely not good“ Identitätskonstruktionen jüdischer Frauen in Wien 257
  18. „Jeder Sieg der Frauen muss ein Sieg der Freiheit sein, oder er ist keiner“ Jüdische Feministinnen in der Wiener bürgerlichen Frauenbewegung und in internationalen Frauenbewegungsorganisationen 277
  19. Gender and Identity. Jewish University Women in Vienna 297
  20. From White Terror to Red Vienna : Hungarian Jewish Students in Interwar Austria 307
  21. Feuilletons und Film. Béla Balázs – ein Dichter auf Abwegen 325
  22. Die Zukunft und das Ende einer Illusion – Sigmund Freud und der Erfolg der Psychoanalyse in den Zwanziger- und Dreißigerjahren 343
  23. David Vogel : Love Story in Vienna or the Metropolis 355
  24. Arthur Schnitzler. Facetten einer jüdisch-österreichisch-deutschen Identität 369
  25. Mit einem ›e‹. Zwischen Diaspora und Assimilation Ein Streit unter Freunden : Joseph Roth und Soma Morgenstern 385
  26. Jüdisches Leben im Wiener Fin de Siècle. Performanz als methodischer Ansatz zur Erforschung jüdischer Geschichte 399
  27. Felix Salten. Zionismus als literarisches Projekt 419
  28. „Schund“, „Jargon“ und schöner Schein Jüdische Erfahrung/en im jüdischen Theater 427
  29. Imago und Vergessen. Wienbilder und ihre unsichtbaren Urheber 439
  30. Frau Breier aus Gaya meets The Jazz singer Zwischen Bühne und Leinwand, Wien und New York 463
  31. Österreichische Filmmusik in Hollywood – eine Annäherung 483
  32. Personenregister 491
  33. Sachregister 503
  34. Biografien 519
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