Seite - 49 - in Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938 - Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
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Antisemitismus 1900–1938
tholiken sind ebenfalls evident, denn sieben Personen berichten davon, dass sie als
„Jesusmörder“ bezichtigt wurden. Wie wir von Interviews wissen, ging dem meistens
ein katholischer Religionsunterricht voran, in dem die Kinder davon hörten, dass „die
Juden“ Jesus umgebracht hätten. Auch die Isolation und Vermeidung des Kontakts
seitens der nichtjüdischen Schülerinnen und Schüler bzw. Studierenden wird immer
wieder beschrieben, ebenso deren offene Sympathie für den Nationalsozialismus.
Leider wird nur selten beschrieben, wie und ob die Betroffenen auf die antisemi-
tischen Insultationen reagierten. Ein Beispiel für das Wehren gegen Beschimpfungen
stammt von der 1917 geborenen Gerda Z. Wie im zuvor zitierten Beispiel reagiert sie
im ersten Impuls auf die Frage nach antisemitischen Erfahrungen, sie erinnere sich
persönlich an keine. Erst im zweiten Schritt nennt sie ein konkretes Ereignis : „Not
that I remember, except one in school when a girl called me ‚Saujud‘. I took care of
that, I pulled a strand of hair out of her head. I was punished by the teacher but I was
still glad I gave this girl a lesson.“
Bei einer geschlechtsspezifischen Auswertung der Befragung zeigt sich die höhere
Betroffenheit von Männern mit antisemitischen Erfahrungen im Allgemeinen und
Gewalterfahrungen im Besonderen. Dennoch sprechen die Ergebnisse der Befragung
gegen die Annahme, der Antisemitismus hätte sich vor allem gegen Männer gerich-
tet.
Tabelle 3 : Geschlechtsspezifische antisemitische Erfahrungen vor dem Nationalsozialis-
mus von in den usa wohnenden Überlebenden : „Did you or your family encounter any
antisemitism before March 1938 ? (If so, please give details.)“
Antisemitische Erfahrung Männer Männer
Prozent Männer
Prozent Frauen Frauen
Prozent Frauen
Prozent
Gewalterfahrung 20 6,9 %
60,9 % 7 2,4 %
46,3ja
125 43,3 % 102 34,4 %
wenig 30 10,4 % 26 8,8 %
einmal 1 0,3 % 2 0,7 %
nein 113 39,1 % 39,1 % 159 53,7 % 53,7 %
gesamt 289 100 % 100,0 % 296 100 % 100,0 %
Quelle : Austrian Heritage Collection, LBI New York, Second Questionnaire.
Ein Beispiel für eine antisemitische Darstellung : Georg Glockemeier, Zur Wiener Judenfrage, Leipzig,
Wien 1936, S. 100.
Austrian Heritage Collection, LBI New York, Second Questionnaire.
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Buch Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938 - Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus"
Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
- Titel
- Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
- Untertitel
- Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
- Autor
- Frank Stern
- Herausgeber
- Barabara Eichinger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2009
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78317-6
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 558
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort XI
- Einleitung. Wien und die jüdische Erfahrung 1900–1938 XII
- Was nicht im Baedeker steht Juden und andere Österreicher im Wien der Zwischenkriegszeit 1
- Jüdische Lebenserinnerungen. Rekonstruktionen von jüdischer Kindheit und Jugend im Wien der Zwischenkriegszeit 17
- Antisemitismus 1900–1938. Phasen, Wahrnehmung und Akkulturationseffekte 39
- „Hinaus mit den Juden !“ Von Graffiti und der Zeitung bis zur Leinwand 59
- Generationenkonflikte. Die zionistische Auswanderung aus Österreich nach Palästina in der Zwischenkriegszeit 71
- Die Stimme und Wahrheit der Jüdischen Welt Jüdisches Pressewesen in Wien 1918–1938 99
- Die israelitischen Humanitätsvereine B’nai B’rith für Österreich in der Zwischenkriegszeit und ihr Verhältnis zur „jüdischen“ Freimaurerei 115
- Tempel, Bethäuser und Rabbiner 131
- Die Geschichte der Ausbildung von Rabbinern in Wien seit dem 19. Jahrhundert 143
- Martin Bubers Weg zum Chassidismus 155
- Die jiddische Kultur im Wien der Zwischenkriegszeit und ihre Positionierungen in Bezug auf Akkulturation, Diasporanationalismus und Zionismus 175
- „Wenn Dich drückt der Judenschuh“. Blicke in die moderate Wiener Moderne 197
- Karl Kraus and Gustav Mahler Imagine the „Jews“ 217
- Antisemitisch-misogyne Repräsentationen und die Krise der Geschlechtsidentität im Fin de Siècle 229
- „Being different where being different was definitely not good“ Identitätskonstruktionen jüdischer Frauen in Wien 257
- „Jeder Sieg der Frauen muss ein Sieg der Freiheit sein, oder er ist keiner“ Jüdische Feministinnen in der Wiener bürgerlichen Frauenbewegung und in internationalen Frauenbewegungsorganisationen 277
- Gender and Identity. Jewish University Women in Vienna 297
- From White Terror to Red Vienna : Hungarian Jewish Students in Interwar Austria 307
- Feuilletons und Film. Béla Balázs – ein Dichter auf Abwegen 325
- Die Zukunft und das Ende einer Illusion – Sigmund Freud und der Erfolg der Psychoanalyse in den Zwanziger- und Dreißigerjahren 343
- David Vogel : Love Story in Vienna or the Metropolis 355
- Arthur Schnitzler. Facetten einer jüdisch-österreichisch-deutschen Identität 369
- Mit einem ›e‹. Zwischen Diaspora und Assimilation Ein Streit unter Freunden : Joseph Roth und Soma Morgenstern 385
- Jüdisches Leben im Wiener Fin de Siècle. Performanz als methodischer Ansatz zur Erforschung jüdischer Geschichte 399
- Felix Salten. Zionismus als literarisches Projekt 419
- „Schund“, „Jargon“ und schöner Schein Jüdische Erfahrung/en im jüdischen Theater 427
- Imago und Vergessen. Wienbilder und ihre unsichtbaren Urheber 439
- Frau Breier aus Gaya meets The Jazz singer Zwischen Bühne und Leinwand, Wien und New York 463
- Österreichische Filmmusik in Hollywood – eine Annäherung 483
- Personenregister 491
- Sachregister 503
- Biografien 519